Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Tassilo zu Lorsch

                          Der große Heldenkaiser kam
Von weiten Fahrten hergezogen;
Nach Lorsch er seine Straße nahm,
Dem Kloster dort war er gewogen;
Im Münster hat er manche Nacht
Dort im Gebet einst zugebracht.

»Dich grüß' ich, stilles Gotteshaus,
Gott grüß euch all, ihr frommen Brüder!
Gern ruh' ich wieder bei euch aus. –
Von weiter Wegfahrt müd, doch müder
Von vielen Sorgen, groß und klein,
Sprech' ich als Pilger bei euch ein.

Da draußen stürmt es in der Welt.
Da geht der Mensch sich selbst verloren;
Die Kirche hier, die mir gefällt,
Hab' ich zur Andacht mir erkoren.
Laßt hier mich bei der Lampe Schein
Die Nacht mit mir und Gott allein.«

Der Abt und seiner Mönche Chor
Heißt seinen Kaiser hochwillkommen.
Mit Ehrfurcht ist er, wie zuvor,
So heut auch wieder aufgenommen,
Und alles ist zur Dienstbarkeit
Dem frommen Herrscher gern bereit.

Doch als in stiller Mitternacht
Der Kaiser ernst und andachttrunken
Allein noch in der Kirche wacht,
Am Fuß des Altars hingesunken,
Sein Herz von Sorgen viel beschwert,
Ganz seinem Gotte zugekehrt –

Da horch, da wird es plötzlich laut:
Die Halle tönt von Mannestritten,
Und wie der Kaiser um sich schaut,
Kommt dort ein Mönch herabgeschritten;
Unsicher durch den langen Gang
Zum Chore wandelt er entlang.

Und hehr im Lichtglanz, wunderbar,
Wer ist's, der mit ihm näher schreitet?
Ein Engel Gottes ist's fürwahr,
Der sanft des Alten Schritte leitet.
Karl sieht den Blinden an und spricht:
»Wo sah ich schon dies Angesicht?«

Und von Altären zu Altar
Die greisen Schritte sorgsam lenkend,
Stellt ihn der Engel allen dar;
Und er, die fromme Pflicht bedenkend,
Spricht hier und dort ein still Gebet
Und dann zurück zum Kloster geht.

Am Morgen aber kömmt zum Abt
Der Kaiser mit hochernsten Mienen:
»Sagt, welchen Heiligen Ihr habt,
Dem hier schon Gottes Engel dienen?«
Der Abt versteht die Frage kaum:
»Euch täuscht, mein Kaiser, wohl ein Traum?« –

»Mich täuscht kein Traum, ich sah es klar;
Es war kein Bild erregter Sinnen:
Ein lichter Engel bracht' ihn dar
Und führt' ihn still darauf von hinnen. –
Laßt uns in nächster Nacht vereint
Sehn, ob er wieder dort erscheint.«

Der Abt ist seinem Herrn bereit;
Sie stehn im Münster voll Verlangen –
Wie gestern um dieselbe Zeit
Kommt auch das Paar schon dort gegangen.
Der Engel, hehr im Lichtgewand,
Den blinden Greis an seiner Hand.

»Herr Abt, wer ist der Gottesmann?« –
»Mein Kaiser, niemand will ihn kennen;
Als Laien nahm ich längst ihn an,
Nie wollt' er seinen Namen nennen.
Der Buße lebt er ganz allein
Mit Beten, Fasten und Kastein.«

Und von Altären zu Altar
Die greisen Schritte sorgsam lenkend,
Stellt ihn der Engel allen dar;
Und er, die fromme Pflicht bedenkend,
Spricht hier und dort ein still Gebet
Und dann zurück zum Kloster geht.

Der Kaiser neigt das Haupt und sinnt:
»Einst sah ich ihn an andrer Stelle;
Noch war er aber da nicht blind.
Auf, führe mich nach seiner Zelle,
Daß er bei Christi Wunden frei
Zu Gott bekenne, wer er sei.«

Sie treten zu dem Blinden ein.
»Freund«, spricht der Abt, »laß mich erfragen
Dein Vaterland, den Namen dein,
Welch Schicksal dich hierher verschlagen;
Nicht eitle Neugier ist's, die fragt;
Antworte frei und unverzagt.« –

»Mein Vaterland war einst die Welt,
Jetzt liegt es mir in weiten Fernen;
Nur eins ist, was mich hier noch hält,
Dann find' ich's wieder über 'n Sternen.
Noch heiß' ich Sünder, ach, und fast
Erdrücket mich der Sünden Last.« –

»Nein«, spricht der Kaiser, »frommer Greis,
Die Sünden sind dir längst vergeben.
Versuch's, erhebe dich! Ich weiß,
Daß Gottes Engel dich umschweben.«
Da staunt der Mönch und ruft entzückt:
»Du bist der Engel, den er schickt.

Längst neig' ich mich dem Grabe zu;
Schuld gegen dich knüpft mich ans Leben.
Vergibst du sie, dann find' ich Ruh',
Durch dich wird Gott mir auch vergeben.
Vergib dem Sünder wohlbekannt;
Tassilo ward ich einst genannt.«

Und Karl reicht ihm gerührt die Hand:
»Hier, nimm es, der Versöhnung Zeichen.«
Tassilo küßt das teure Pfand,
Da sieht man seine Lippen bleichen;
Gebrochen ist des Büßers Herz,
Die Seele schwingt sich himmelwärts.

Er lächelt selig noch im Tod,
Und staunend sehen die Betäubten,
Wie dort im ersten Morgenrot,
Auf ihn geneigt, zu seinen Häupten,
Der Engel still ihm winkend steht –
Und jeder neigt sich zum Gebet.

 


 


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