Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Martinsgans

Der St.-Martins-Tag war von den ältesten Zeiten her in Franken für Geistliche und Laien ein der Freude besonders geweihter Tag. Man kann ihn als einen allgemeinen Kirchweihtag in Franken ansehen; wenigstens ist höchstwahrscheinlich der erste und entfernteste Grund, warum dieser Tag zur allgemeinen Freude in Franken bestimmt worden ist, was Lorenz Fries in seiner »Würzburger Chronik« bemerkt.

Unter den fünfundzwanzig Pfarreien, die König Karlemann dem Stift Würzburg gegeben hat, sind vierzehn, also mehr als die Hälfte – sagt er –, zu Ehren des heiligen Martin geweiht worden. Da das Erzstift Mainz, unter dem auch Würzburg stand, St. Martin zum Schutzheiligen hat, so glaubt Fries, daß St. Bonifazius, der erste Erzbischof von Mainz, jene vierzehn Pfarreien, bei deren Einweihung er persönlich zugegen war, zur Ehre dieses Schutzheiligen seiner Kirche geweiht habe.

Nebst jenem ersten und entfernteren Ursprung dieser allgemeinen Landesfreude mögen die damalige Lage der Geistlichkeit und der Umstand, daß gerade um Martinstag der Herbst wendete und man sich nun aller Gaben der ländlichen Natur erfreuen konnte, die verschiedenen Bräuche bestimmt haben, die zur Feier dieses allgemeinen Festes eingeführt wurden.

Da die Geistlichen anfangs fast alle nach Art der Mönche zusammen in einem gemeinschaftlichen Klaustrum lebten und sowohl zur Zeit des Advents als bald nach Weihnachten bis Ostern fasteten, wurde, wie Lorenz Fries nicht ohne Wahrscheinlichkeit vermutet, den gemeinen Konventsbrüdern, Kaplänen und Kirchnern, die sich sonst das Jahr über mit schlechter Kost begnügen mußten, erlaubt, vor Anfang des Advents, ehe sie in die Fasten traten, an einem Abend sich etwas gütlicher als sonst zu tun. Da nun St.-Martins-Tag als der Tag eines vorzüglichen Schutzheiligen des Landes von Geistlichen und Weltlichen mit besonderer Freude und Fröhlichkeit begangen wurde, verlegten sie solchen ihren »guten Mut« oder »Fastnacht« auf die St.-Martins-Nacht oder auf den nächsten Sonntag, wenn der St.-Martins-Tag auf einen Freitag oder Samstag fiel. Damit sie dies desto besser tun konnten, trugen ihnen die Laien Gänse, Kapaunen, Hühner und Enten zu. Etliche, die es besser meinten, verschrieben ihnen diese als eine jährliche Abgabe von ihren Gütern. Wohl stipulierten sich auch Geistliche von ihren eigenen Gütern, wenn sie diese als Lehen an Bauern oder Bürger abtraten, einen solchen jährlichen Zins. Diese Abgabe dauert noch immer unter den Namen Martinsgänse, Martinshühner und Fastnachtshühner fort.

Den Geistlichen taten es die Laien nach, und kaum war ein Haus, wo nicht am St.-Martins-Tag eine gebratene Gans oder ein Schweinsbraten verzehrt wurde. Man kostete dabei das erste Mal vom neuen Wein.

Wie sich überhaupt die Freude gern mitteilt, so geschah es auch am St.-Martins-Tag. An diesem Tag wurde in Würzburg in vielen Häusern Wein an Arme aus religiöser Freigebigkeit ausgeteilt. Die Küster in den Stiften erhielten von jedem Chorherrn und die Handwerksleute von ihren Kundschaften einen Krug Wein.

Sogar ein öffentliches Schauspiel von sonderbarer Art gab man am Vorabend dieses Tages dem Volk zu Würzburg. Im Bruderhof wurde ein Amphitheater errichtet. Am Vorabend des St.-Martins-Tags nach der Vesper versammelten sich die Domherren auf den für sie zubereiteten Sitzen, dazu eine Menge Volk. In diesem Zirkus, der mit Stroh belegt war, wurden zwei oder mehrere wilde Schweine aufeinandergehetzt. Das Fleisch wurde dann teils unter die Vornehmern, teils unter das Volk verteilt. Während dieses Schauspiels wurde den Domherren Most präsentiert, und einer reichte dem anderen den Becher.

 


 


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