Schloß Leuchtenberg genüber,
Da steht ein alter Baum
Auf einem hohen Berge,
Der heißt der Kalte Baum.
Ich ging am Baum vorüber,
Ein Hirt im Schatten saß,
Indes die Herde suchte
Nach spärlich dürrem Gras;
Die Sonne glüht' im Scheitel,
Die Luft war still und klar,
Doch weht' es in den Zweigen
Und in des Hirten Haar.
Und als ich in den Schatten
Des alten Baumes trat,
Da packt's mich kalt und schaurig,
Wie wenn der Winter naht.
Es rauscht' in seinen Ästen
Wie rauher Nordwindsturm,
Und unter ihm war's frostig,
Dumpf wie im Kerkerturm.
Es heulet durch die Blätter
Wie wilder Wahnsinnslaut,
Und unten scheint die Erde
Von Tränen feucht betaut.
»Warum«, frug ich den Hirten,
»Tobt hier des Sturmes Wut,
Da rings auf Wald und Hügeln
Die tiefste Stille ruht?« –
»Seht Ihr das Schloß, das drüben
Auf steilem Felsen hangt?
Jetzt stehn nur öde Trümmer,
Wo Leben einst geprangt.
Es haben dort die Grafen
Von Leuchtenberg gehaust,
Von dort aus oft wie Adler
Die Gauen rings durchsaust.
Und eines Grafen Tochter
Liebt' einen Edelknecht,
Der Liebe folgte Sünde,
Die Sünde ward gerächt.
Der Vater riß den Knappen
Aus süßem Liebestraum,
Ließ töten ihn, begraben
Hier unter diesem Baum.
Der Vater warf die Tochter
In jenen finstern Turm,
Allein mit ihrem Jammer,
Bei kalter Nacht und Sturm.
Und als der nächste Morgen
Rot angebrochen kaum,
Schwang sie sich auf zum Fenster
Und sah nach diesem Baum
Und rief: ›Verflucht auf ewig
Sei, Baum, dein Blätterdach,
Weil unter dir mein Vater
Den Liebsten mir erstach;
Wenn all die andern Bäume
In Sonnenwärme ruhn,
Kalt sollst du ewig bleiben
Wie mein Geliebter nun!
In dir soll immer schauern
Das Grauen einer Gruft,
Kalt sollst du ewig bleiben
Wie meines Kerkers Luft!
In dir soll's immer sausen
So stürmisch wie mein Schmerz,
Kalt sollst du ewig bleiben
Wie meines Vaters Herz!‹
So fluchte diesem Baume
Das Fräulein Tag für Tag,
Bis endlich sie des Kerkers,
Des Herzens Qual erlag.
Und seitdem weht's hier frostig,
Wenn heiß das ganze Land,
Und wird der Baum für immer
Der Kalte Baum genannt.« –
Als nun der Hirt geendet,
Rauscht's auf mit neuem Sturm,
Ich aber blickt' hinüber
Zum Leuchtenberger Turm.
Mir war's, als säh' am Fenster
Das Fräulein ich noch stehn,
Als hört' ich ihre Flüche,
Als säh' ich sie vergehn.
Schnell trat ich weg vom Baume
In warmen Sonnenstrahl
Und stieg, das Herz entlastet,
Hinab ins stille Tal. |