Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Kemptermeise

Von J. B. Tafrathshofer.

                In einem Städtlein wohlbekannt
In unserm lieben Schwabenland
Entkam einst unbedachterweise
Des Bürgermeisters Lieblingsmeise.

Ob dieser Botschaft schreckensbleich
Eilt er aufs Rathaus alsogleich
Und schwöret dort in finsterm Grolle,
Daß sie ihm nicht entwischen solle.

Die Diener der Gerechtigkeit
Stehn vor der Türe schon bereit
Und lauschen mit gespitzten Ohren,
Wozu »Sein Gnaden« sie erkoren.

»Auf! Auf!« herrscht er mit grimmem Blick.
»Bringt meine Meise mir zurück;
Greift eilig zu den langen Spießen
Und laßt mir schnell die Tore schließen!«

Gesagt, getan. Gewappnet eilt
Die Schar der Wächter unverweilt,
Und jedes Tor, massiv geflügelt,
Wird fest verrammelt und verriegelt.

Dann fliegen sie wie atemlos
Durch alle Straßen klein und groß,
Vom Stadtwirt wiederum zurücke,
Hinunter bis zur Illerbrücke,

Und suchen alle Gärten aus,
Durchstöbern Keller, Dach und Haus;
Umsonst – sie waren all betrogen:
Die Meise war davongeflogen.

Wen jammert nicht der arme Mann,
Dem all sein Erdenglück zerrann?
Er fand kein Ende seiner Klage
Und starb gerührt vom Nervenschlage.

Von diesem klugen Torverschluß
Heißt man noch jeden Pfiffikus,
Der weiser ist als andre Weise,
In Schwaben eine »Kemptermeise«.

 


 


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