Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Kettenträger zu Gundelfingen

Lange schon war in Gundelfingen wie in allen Orten des Herzogtums Neuburg die katholische Religion auf das strengste verboten, und diejenigen, die an dem Glauben ihrer Väter festhielten, wurden mit Kerker, Einziehung ihrer Güter und Landesverweisung bestraft. Aber dennoch hatte der alte Glaube noch treue Anhänger, die insgeheim die Zeremonien ihres Kultes feierten.

In Gundelfingen hatte sich schon seit Jahren ein Spanier, Don Alfonso geheißen, niedergelassen, der, so streng seine Landsleute gewöhnlich auch der katholischen Religion ergeben waren, ihr ärgster Feind zu sein schien. Seine innige Bekanntschaft mit dem herzoglichen Pfleger zu Gundelfingen, dem Konrad Güß von Güssenburg, mißbrauchte er zum größten Schaden der heimlichen Katholiken. Seinem Späherblick entging kaum einer der Altgläubigen, und schon mehrere von ihnen hatte er in den Kerker und an den Bettelstab gebracht.

Eines Abends kam er hastig zu dem Pfleger und eröffnete ihm, wie er soeben erfahren hatte, daß die Katholiken der Umgegend sich nächtlicherweile in den Ruinen von Faimingen versammelten, um dort unter Leitung eines Geistlichen Religionsübungen anzustellen. »Heute nacht«, meinte er, »werden wir sie überfallen und, wenn reiche Leute unter ihnen sind, für unsere Tasche ein schönes Profitchen machen.«

Er redete noch, als dem Pfleger einfiel, daß in dem benachbarten Gemach eine Dienerin mit dem Putzen des Bodens beschäftigt war; er machte dies dem Spanier bemerkbar, der einen grimmigen Fluch tat, zu dem Mädchen eilte und ein scharfes Verhör mit ihr anstellte. Obschon sie nun behauptete, von der Unterredung der beiden Männer nichts vernommen zu haben, so ließ sie doch der Spanier einen hohen Eid schwören, heute mit keinem Menschen ein Wort mehr zu reden, worauf die beiden Männer das Gemach verließen, um Anstalt zur Bewaffnung ihrer Diener zu machen, mit deren Hilfe sie die Katholiken gefangennehmen wollten.

Die arme Magd aber wollte fast verzweifeln, denn ihre Eltern waren katholisch, und sie selbst hatte erst kürzlich in der Versammlung zu Faimingen das heilige Abendmahl empfangen, und nun konnte sie ihre Glaubensgenossen nicht einmal warnen.

Bald trat auch die Nacht ein; finster und wolkenbedeckt war der Himmel. Nahe beim Dorf Faimingen, hart an den Ufern der Donau, die sich seitdem bedeutend zurückgezogen hat, lagen mächtige Ruinen und Trümmerhaufen; denn einst hatten die Römer hier eine starke Burg zum Schutz der Donaubrücke errichtet, und in deren Überbleibsel hatten die Edlen von Flachberg im Mittelalter ihr Schloß hineingebaut; doch nun lagen die Gemächer öde und verlassen und dienten nur Füchsen und Eulen zur Wohnung. Doch heute schlich sich eine Gestalt um die andere durch das mit Efeu bewachsene Portal, und als endlich eine beträchtliche Anzahl von Personen in der großen Halle versammelt war, verhängten sie mittels ihrer Mäntel und Tücher die kärglichen Fensteröffnungen und zündeten Blendlaternen an und harrten sehnsüchtig.

Über die Donau schwamm um diese Zeit ein einfacher Fischerkahn, nur von einem Mann gelenkt, der, am Ufer angekommen, über die Trümmer kletterte und bald unter den Versammelten erschien, die ihn mit stillem Händedruck begrüßten. Der Angekommene war ein frommer Priester aus der Markgrafschaft Burgau, der gekommen war, ihnen die Tröstungen der Religion zu spenden, und unter seinem Mantel ein Kästchen hervorlangte, das aufgeschlagen einen tragbaren Altar darstellte. Als er sich eben anschickte, das heilige Meßopfer zu entrichten, wurde die Stille der Nacht plötzlich auffallend gestört.

Vom Eingang der Ruinen erscholl es mit lauter Stimme: »Da komm' ich her von Gundelfingen, und hinter mir sind die Schergen, die meine Eltern und die anderen Katholiken gefangennehmen wollen, und ich habe hohen Eid geschworen, heute mit keinem Menschen mehr zu reden. So rede ich denn zu dir, du alter Eichbaum, der nicht fühlt, welche Qual mein Herz durchbohrt.«

Aufmerksam hatte die Versammlung gehorcht, die Eltern hatten die Stimme ihrer Tochter erkannt, und schnell ergriff alles die Flucht. Der Priester war der letzte, der ging; er wäre lieber Märtyrer für seinen Glauben geworden.

Und kaum war eine Stunde verflossen, so trat der Spanier mit den Bütteln und Schergen ein und durchstöberte fluchend und scheltend die Ruinen, in denen er zu seinem größten Ärger niemand finden konnte. Endlich glaubte er sich im Tag geirrt zu haben und ein anderes Mal glücklicher zu sein. Doch dieses andere Mal kam nicht, denn etliche Wochen hernach starb der Herzog des Landes, und sein Sohn, der ihm in der Regierung folgte, war vor kurzem selbst Katholik geworden und führte diese Religion ebenso eifrig ein, wie sie vorher verfolgt worden war. Das getreue Häuflein der Katholiken zu Gundelfingen hatte die Freude, in der Person jenes Geistlichen (er hieß Molitor) einen Pfarrer zu erhalten, der seine Stelle rühmlichst – selbst in den größten Drangsalen des Dreißigjährigen Krieges – versah.

Der Spanier Don Alfonso, den man für einen so eifrigen Protestanten gehalten hatte, hängte jetzt den Mantel nach dem Wind und änderte schnell seinen Glauben, ohne jedoch aufzuhören Wucher zu treiben und Geld zusammenzuscharren. Er war allgemein verhaßt, und jedermann glaubte, als man ihn eines Morgens vom Schlag getroffen mit schwarzblauem Gesicht tot im Bett fand, der Teufel habe ihn geholt und gönne seiner Seele im Tod keine Ruhe. Denn bald hieß es – und heißt bis auf unsere Zeiten so –, er wandle zu gewissen Zeiten mit Ketten an Händen und Füßen nächtlich als Gespenst in der Nähe seines ehemaligen Wohngebäudes. Man nannte diesen Geist im vorigen Jahrhundert nur den Kettenträger oder auch Kettenmann.

 


 


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