Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Serpentina von Dinkelsbühl

Sage vom Hesselberg bei Wassertrüdingen in Mittelfranken.

Vor mehreren hundert Jahren lebte in dem Städtchen Dinkelsbühl ein reicher Hopfenhändler, der einen sehr tugendhaften und gutgearteten Sohn hatte, der neben seiner schönen Seele auch ein sehr angenehmes Äußeres besaß und deswegen nur der »Schöne Heinrich von Dinkelsbühl« genannt wurde. Zu gleicher Zeit lebte in Dinkelsbühl ein sehr stolzer und hochmütiger Bürgermeister, der auch eine sehr schöne und gutgeartete Tochter hatte, die Serpentina hieß.

Diese beiden jungen Leute liebten sich, aber sie hatten keine Hoffnung, daß sie je ihren Zweck erreichen würden, weil der Bürgermeister jeden Freier abwies und ihm keiner vornehm und reich genug war. Daher getraute sich auch der Schöne Heinrich nicht, seinen Wunsch laut werden zu lassen; nur seinem Vater, der sein ganzes Vertrauen besaß, entdeckte er sich. Dieser lächelte und sagte: »Lieber Heinrich, wenn du keine Sorge hast als diese – davon will ich dich befreien. Der Bürgermeister ist weiter nichts als stolz und vornehm und bildet sich Wunder viel auf seinen Titel ein. Nun aber weiß ich, daß er unersättlich habsüchtig ist; habe ich keine vornehmen Ahnen aufzuweisen, so habe ich doch tausend Schock harte Taler, die die Ahnen ersetzen sollen.«

Gesagt, getan. Der Hopfenhändler warf sich in seinen Feststaat, zog seinen hellblauen Samtrock mit den großen silbernen Knöpfen an, nahm seine silberne Schnallen und ging mit seinem stark mit Silber beschlagenen spanischen Rohr nach dem Haus des Bürgermeisters und hinterbrachte diesem seinen Antrag. Letzterer, ganz außer sich vor Freude über den gemachten Antrag, willigte sogleich ein, weil er den Hopfenhändler als den reichsten Mann in der ganzen Gegend kannte und der Schöne Heinrich ein sehr wohlgearteter Jüngling war. Demnach verlangte er, daß die Sache sogleich richtig gemacht werde.

Niemand war vergnügter als Heinrich und Serpentina, und schon wurden alle nur möglichen Anstalten zur Hochzeit gemacht, als mit einem Mal Heinrichs Vater ganz unvermutet am Schlagfluß starb. Heinrich, der sich bisher gar nicht um das Geschäft des Vaters gekümmert hatte, war sehr bestürzt, weil er in seinen Geschäftsbüchern nichts fand als ein Verzeichnis aller seiner ausstehenden Kapitalien und Schulden, aber keine Dokumente. Wie vom Blitz getroffen stand nun der arme Heinrich da, und ein Schuldner nach dem anderen kam und machte seine Forderung geltend. Heinrich konnte nicht bezahlen, und bald wurde der verstorbene Hopfenhändler als ein Betrüger ausgeschrien.

Dies konnte dem Bürgermeister nicht verborgen bleiben, und er kündigte deshalb dem Heinrich die Heirat auf, und es wurden alle Anstalten getroffen, daß das Haus des Hopfenhändlers verkauft und die Schuldner bezahlt würden. Heinrich konnte nun nichts weiter tun, als sein Glück in der Welt suchen. Er machte daher sogleich Anstalten, seine Abreise aus seiner Vaterstadt, wo er nun das allgemeine Gespräch war, zu beschleunigen, und schon am nächsten Sonntag, als die schöne Bürgermeisterstochter in ihrem schön vergitterten Kirchstuhl saß, hörte sie die Bitte des Predigers von der Kanzel herab für einen Jüngling, der auf Reisen gehen wolle, und ihre Tränen flossen in ihr schneeweißes Sacktuch.

Schon am anderen Morgen wanderte der Schöne Heinrich unter den Segenswünschen seiner geliebten Serpentina aus Dinkelsbühl und nahm seinen Weg nach dem benachbarten Hesselberg und beschloß nach Nürnberg zu reisen. Als er auf dem Hesselberg angekommen war, beschloß er noch einmal haltzumachen. Mit Wehmut erblickte er noch die Türme seiner Vaterstadt, und noch einmal sagte er seiner heißgeliebten Serpentina ewiges Lebewohl.

Er setzte sich auf den Stein eines alten Gemäuers, und nun sah er ein wunderschönes Schlänglein, das über und über himmelblau war, einen goldenen Gürtel um den Leib und eine kleine goldene Krone auf dem Kopf hatte. Da das Schlänglein gar nicht schüchtern war, so fing Heinrich an, es zu streicheln; nun aber fiel ihm wieder seine geliebte Serpentina ein, und er rief dreimal: »Serpentina!«

Mit einem Mal verschwand die Schlange, und eine sehr schöne, blühende Jungfrau in himmelblauseidenem Gewand, einen goldenen, mit kostbaren Edelsteinen gezierten Gürtel um den Leib und eine goldene Krone auf dem Haupt, stand vor ihm und fragte ihn, was sein Begehren sei. Heinrich erschrak über die Erscheinung nicht wenig und sagte, er habe sie nicht gerufen.

Die Jungfrau aber sagte: »Hast du nicht dreimal mich bei meinem Namen Serpentina gerufen?« Und nun setzte sie sich zu ihm auf den Stein und bat ihn, ihr seine Geschichte zu erzählen. Nachdem nun Heinrich seine Abenteuer erzählt hatte, sagte Serpentina: »Gottlob! Wenn es weiter nichts ist, da will ich dir helfen.« Sie befahl ihm, ihr zu folgen.

Da stieß sie mit dem Fuß auf einen großen Stein, und augenblicklich öffnete sich eine Tür; Heinrich stieg mit der Jungfrau eine lange Treppe hinab, und nachdem sie durch ein finsteres Gewölbe gegangen waren, kamen sie in einen großen Saal. Die Jungfrau berührte einen an einer Marmorsäule hängenden Talisman, und augenblicklich war der Saal von vielen brennenden Wachskerzen erleuchtet. Von da führte ihn die Jungfrau in einen zweiten Saal, der noch köstlicher war. Hier standen mehrere große Kisten; sie öffnete eine davon, die ganz mit großen Goldstücken angefüllt war. Hier befahl sie ihm, sein Felleisen auszuleeren und mit Gold zu füllen, soviel er zu tragen vermöge; dann nahm sie aus einem Kistchen einen aus Gold und Edelsteinen gemachten Myrthenkranz und eine lange Schnur der schönsten orientalischen Perlen und sagte: »Nimm diesen Schmuck, und gib ihn deiner Braut zum Brautschmuck; es ist der Brautschmuck meiner seligen Mutter. Mit dem Gold aber löse dein väterliches Erbe aus.«

Heinrich dankte der Jungfrau auf das innigste. Nun bat er sie noch, ihm doch auch die Geschichte des versunkenen Schlosses zu erzählen.

Sie begann: »Mein Vater war der weit und breit bekannt gewesene Ritter Arno und hauste auf diesem Schloß; er war ein ausschweifender Mensch und vergaß sich so weit, daß er mit dem Fürsten der Hölle einen Bund machte, der ihm auch alle diese Reichtümer zuführte, wofür er ihm auch seine Seele verschrieb. Als dies meine selige Mutter erfuhr, betete sie unaufhörlich für meinen Vater zu Gott.

Um diese Zeit gebar sie mich; da erschien ihr die Mutter unseres Herrn und sagte ihr: ›Wenn deine Tochter nie der Liebe eines Mannes folgen, sondern ihr Leben Gott und der Kirche weihen wird, so soll dein Gemahl von der Verdammnis erlöst sein.‹

Meine selige Mutter gelobte dies der Heiligen Jungfrau, aber ich hielt, als ich erwachsen war, nicht Wort, sondern verschenkte mein Herz an den Ritter Benno von Lenkersheim in meinem sechzehnten Jahr, und an dem Tag, als wir uns verlobten, spaltete sich der Berg und verschlang das Schloß mit allem, was es in sich hielt. Mein Vater wurde von höllischen Geistern in die Luft davongeführt, ich aber wurde in eine Schlange verwandelt und dazu verdammt, so lange hier auszuhalten, bis diese Kiste, aus der du das Gold genommen hast, geleert sein wird. Mir aber ist nur vergönnt, alle Jahre auf einige Augenblicke menschliche Gestalt anzunehmen und solchen, die ohne ihr Verschulden in Mangel und Not geraten sind, zu helfen.

Nun geh zurück in deine Vaterstadt, morgen wird dein elterliches Haus versteigert; nimm von dem Gold, bezahle davon die Gläubiger deines Vaters, und nimm Besitz von deinem väterlichen Erbe. Dann geh in das Geschäftszimmer deines Vaters, dort hängt ein altes Ölgemälde; nimm es weg, und du wirst dahinter einen gemauerten Schrank finden, in dem alle in dem Geschäftsbuch deines verstorbenen Vaters eingetragenen Schulddokumente enthalten sind; damit wird dann auch die Ehre deines Vaters gerettet sein. Für mich lasse hundert Seelenmessen lesen und bezahle jegliche mit einem Goldstück.« Dann führte sie ihn wieder zurück aus der versunkenen Burg, und die Öffnung samt der Jungfrau war verschwunden.

Heinrich wanderte nun getrosten Muts seiner Vaterstadt zu, nahm sein väterliches Erbe in Besitz, und Serpentina, die schöne Bürgermeisterstochter, wurde bald seine Gattin, und beide führten die glücklichste und zufriedenste Ehe. Als sie starben, stifteten sie ein Waisenhaus und verordneten, daß die Waisenkinder alle Jahre am Todestag der Stifter einen frohen Festtag feiern sollten, was sich bis auf unsere Tage erhalten haben soll und das Kinderfest genannt wird.

 


 


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