Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Möringer (1)

Von Gustav Schwab.

1.
                Das war der edle Möringer,
Der sprach zu seiner Frau –
Die Schönste war es weit und breit
im ganzen Donaugau –,

So sprach er um den Hahnenschrei:
»Herzliebes Weib, sieh zu!
Du sollst mein harren sieben Jahr'!«
Er küßte sie dazu.

»Mich treibt nicht Fürwitz, alle Welt
Hab' ich genug durchrannt;
Ein streng Gelübde treibt mich fort,
Hin in Sankt Thomas' Land.

Von Jahr zu Jahr hab' ich gesäumt,
Ich mochte nicht von dir;
Jetzt mahnt es mich bei Tag und Nacht,
Läßt keinen Frieden mir.«

Da sprach die Frau gar trauriglich –
Betrübet war ihr Mut –:
»Weh'! Wem befehlt Ihr, edler Herr,
All Euer Land und Gut?

Und wenn es wohl geborgen ist,
So bleib' ich doch allein!
Wer ziehet unser Kind, wer soll
Mein treuer Pfleger sein?«

Der Ritter gut, er tröstet sie:
»O traure nicht so sehr;
Mir dienet manch ein werter Mann,
Der pflege deiner Ehr'.

Das Töchterlein, das ziehen uns
Die frommen Klosterfraun;
Einst lüft' ich selbst den Schleier ihr
Und will als Braut sie schaun.

Und deiner Ehren trau' ich wohl,
Du bist von guter Art.
Jetzt gib mir Urlaub, zarte Frau,
Ich will auf Gottes Fahrt!

Der segne dich und hab' uns all
In seiner treuen Hut;
Sankt Thomas auch, der edle Herr,
Sei uns ein Helfer gut!«

Da ging der fromme Möringer
Aus seiner Kammer für;
Der Kämm'rer mit dem Becken stand
Und harrte vor der Tür.

Er nahm ihm ab das Morgenkleid,
Reicht' ihm das Wasser dar;
Es wusch der Herr sich mit der Hand
Sein lichtes Auge klar.

Dann schauet er den Diener an,
Sein Haar, das war ganz grau.
»Dir«, sprach er, »du getreuer Knecht,
Befehl' ich meine Frau!

Ich find' an dir der Tugend viel,
Drum pflege du sie mir;
Nach sieben Jahren kehr' ich heim,
Ja reichlich lohn' ich's dir.«

Der Kämm'rer doch sprach tugendlich:
»O Herr, es ist nicht gut;
Die Frauen tragen lange Haar'
Und einen kurzen Mut.

Bei Eurer Habe bleibet heim,
Wenn ich Euch raten mag.
Nicht möcht' ich pflegen Eure Frau,
Nicht über sieben Tag.«

Die Rede deuchte fremd den Herrn,
Er trat beschwert hinaus.
Von Neufen fand, den jungen, er
Da stehen vor dem Haus.

Er sah ihn an, er dachte wohl,
Wie treu der sei gesinnt:
Es ist ein Jüngling von Gestalt,
Von Herzen noch ein Kind.

Er sprach., »Von Neufen, junger Herr,
Ihr liebster Diener mein!
Ihr sollt ein Pfleger meinem Weib
Auf sieben Jahre sein.

Ihr Leben ganz befehl' ich Euch
Und den geliebten Leib.
Wie dort der Herr vom Kreuze sprach:
›Dies ist dein Sohn, o Weib!‹«

Der junge Herr von Neufen, ei
Wie neigt er fröhlich sich:
»Herr, zeug hinaus, wohin du willst,
Nicht weiter kümm're dich!

Und wärst du aus auch dreißig Jahr',
Noch pflög' ich ihrer gern.«
Da zog der edle Möringer
Getrost hinaus zur Fern'.

 
2.
Und sieben Jahre waren um
Bis zu dem letzten Tage;
Herr Möringer in Thomas' Land,
Ruht aus im grünen Hage.

Es lief um ihn das fremde Volk,
Es blühten seltne Kräuter;
Von manchem Abenteuer müd
Schlief ein der Gottesstreiter.

Und wie er lag, das Angesicht
Gen Himmel still gekehret,
Da ward von einem bösen Traum
Der edle Herr beschweret.

Ein Engel ihm zur Seite stand,
Des Wort hat er vernommen:
»Zeit ist's! Erwache, Möringer!
Eil, in dein Land zu kommen.

Der junge Neufen führet heut
Dein Weib in seine Kammer!« –
Da wacht er auf, den grauen Bart
Rauft er sich aus im Jammer.

»Weh mir, wie reut mich meine Frau!
Weh mir um Land und Leute!
Daß ich muß fern geschieden sein,
Wie soll ich's ändern heute?

So weit ich schau', ist fremdes Land,
Gebirge, Kett' um Kette;
Und könnt' ich fliegen wie mein Blick,
Nicht käm' ich heut' zur Stätte.

Die ich gebracht zur Würdigkeit,
Die schändet mich an Ehren!
Sankt Thomas, bei der Marter dein,
Du wolltest mich erhören!

Du hast in diesem fremden Land
Getan der Wunder viele,
Wenn du mir Gottes Hilfe schickst,
So komm' ich wohl zum Ziele!«

Da war dem edlen Möringer
Ein Trost ins Herz gegeben;
Drum, als er brünstig so gefleht,
Schnell wollt' er sich erheben.

Doch war sein Leib so krank und schwer
Von Leid und großem Kummer,
Er sank zurück von Müdigkeit
Und fiel in neuen Schlummer.

Und als er aus dem Schlaf erwacht,
So höret er es rauschen;
Sein Auge noch geschlossen war,
Sein Ohr begann zu lauschen.

Es war so wohlbekannter Laut:
Sein Blick tät' sich erhellen,
Da floß vor ihm der Donaustrom
Mit seinen alten Wellen.

Da gehet neben ihm das Rad
Von seines Schlosses Mühle,
Da säuselt ihm ein Eichenbaum
Hernieder Abendkühle.

Und auf dem Hügel glänzt die Burg
Im letzten Sonnenscheine;
Dort wohnen Weib und Mannen ihm;
O weh – sind es noch seine?

Doch springt er auf, nach seinem Haus
Die Arm' er sehnlich breitet:
»Sankt Thomas, frommer Bote, Dank!
Du hast mich wohl geleitet!«

Zur Mühle ging er ein, er war
Ein armer Mann zu nennen;
Den Herrn, den edlen Möringer,
Den mochte keiner kennen.

 
3.
»O Müller, sei mir treu gesinnt;
Weißt von der Burg nicht neue Mär?
Ich bin ein fremder Pilgersmann,
Doch war ich droben wohl schon eh'r.«

Der Müller sprach – er wundert sich –:
»Kommt Ihr also aus fernem Land?
Die schlimme Mär, die jeder weiß,
Ist Euch allein sie nicht bekannt?

Ich weiß der Abenteuer viel:
Der junge Herr von Neufen freit;
Das Weib des edlen Möringer,
Das will ihn ehlich nehmen heut'.

Man spricht, der edle Ritter sei
In fremden Landen blieben tot.
Das ist mir leid und groß Beschwer,
Gott woll' ihm helfen aus der Not!

Gott gnade meinem lieben Herrn!
Von ihm hab' ich mein Gut und Ehr';
Ja, tröste Gott die Seele sein!
Ach, daß er immer bei uns wär'!«

Da ging das Wort dem Möringer
Ins Herz von seinem guten Knecht:
»Dienstmann und Weib vergaßen mich,
Des Knechtes Treue blieb mir echt!«

Er sprach: »Ich wünsch' Euch gute Nacht!
Und hört, wenn Euer Wort ist wahr –
Habt in der Kammer Ihr ein Weib,
So geht nicht fort auf sieben Jahr'!

Auch dem Gesellen trauet nicht,
Von Herzen fromm, von Alter zart:
Die böse Lust kommt mit der Zeit,
Und mit den Jahren wächst der Bart.«

Dann wandelt' er den Pfad hinauf:
»Nun rate, Gott, wie greif' ich's an,
Daß mir nicht wehren meine Burg,
Die sonst mir waren untertan.«

Da stand er in dem Dämmerlicht
Vor seiner eignen Burg am Tor;
Er klopft' mit harter Faust daran.
Der Torwart rief: »Wer ist davor?«

»Um Gott! Nicht lange säume dich,
O Freund! Sag an der Frauen dein:
Es ist hienieden vor der Burg
Ein müder Pilgrim, will hinein.

Nur eine schlechte Gab' er heischt,
Sie soll darob nicht sehen scheel,
Um Gottes willen und Sankt Thom's,
Um Möringers, des Edlen, Seel'.«

Als solches Wort die Frau gehört,
Sie sprach: »Schleuß auf das Tor!
Um Gottes willen und Sankt Thom's,
Nicht soll er warten lang davor!

Ja, gib dem armen Pilgersmann
Zu essen satt ein ganzes Jahr!« –
Der Frau an ihrem Hochzeitstag
Die Freude doch verdorben war.

Da ward der edle Möringer
Gelassen in die Burg hinein.
Er sprach: »Herr Christ, ich danke dir;
Daß ich hier wieder bin, ist dein.«

Doch mußt' er in der eignen Burg –
Ein armer Pilger – einsam stehn;
Er sah sich um im weiten Hof,
Kein Knecht ihm mocht' entgegengehn.

Obwohl erstanden erst vom Schlaf,
Deucht' er sich da so mild und krank,
Nicht hatt' er hundert Schritt getan,
Mußt' doch sich setzen auf die Bank.

Er schaut' hinauf zum Rittersaal;
Der glänzte wie zu selber Zeit,
Als eine tugendsam Braut
Der edle Möringer gefreit.

Die alten Weisen spielten auf
Die Lautner und die Pfeifer all,
Doch anders schlug dem kranken Herrn
Das Herz zu ihrem lauten Schall.

Wohl ward ihm kleine Weile lang,
Doch tritt er nicht in seinen Saal;
Die Mannen sind in andrer Pflicht,
Ein andrer küßt sein Eh'gemahl.

 
4.
Und droben in dem Rittersaal
Saß Bräutigam und Braut,
Die Lampen brannten immer hell,
Die Pfeifen klangen laut.

Sie pflogen wohl des reichen Mahls,
Bis nun die Stunde kam,
Daß in die Kammer mit der Braut
Ging ein der Bräutigam.

Da stand der beste Dienstmann auf,
Des Haar und Bart war weiß;
Es sprach zu seinem jungen Herrn
Ein gutes Wort der Greis.

»Ihr ehret, deucht mir, edler Herr,
Des Schlosses Sitte gern,
So laßt mich eins berichten noch
Von Möring, meinem Herrn.

Es schlief kein Gast in seiner Burg,
Er sänge dem ein Lied;
Ein Pilgrim draußen auf der Bank
Sitzt einsam, wegemüd.

Gelabet hat ihn Euer Wein
Und Eure Speis' erquickt;
Vielleicht er singt Euch noch ein Lied,
Wie sich's zum Feste schickt.«

Der junge Herr von Neufen horcht'
In Fröhlichkeit dem Wort;
Er sprach: »Wie gingen ohne Lied
Die werten Gäste fort?

Ihr Pfeifer, hört zu gellen auf,
Ihr toten Lauten schweigt!
Viel lieblicher ein helles Lied
Aus Menschenkehlen steigt!«

Man rief den Pilgrim in den Saal,
Der trat zur Türen ein,
Zur Erde senket er den Blick,
Als blendet' ihn der Schein.

Er leget, den er nicht gebraucht,
Zur Seite, seinen Stab;
Er schüttelt von dem Rock den Staub
Des fernen Landes ab.

Da reichten sie die Harf' ihm dar,
Er griff mit Schmerzen drein:
»Ich weiß ein einzig traurig Lied,
Es wird euch nicht erfreun!

Es hat mich's in Sankt Thomas' Land
Ein fremder Mann gelehrt;
Doch wollt ihr's haben anders nicht,
So sei es euch gewährt! –

Zu schweigen immer«, sang er drauf,
»Hätt' ich wohl eh' gedacht;
Seit hat mich eine schöne Frau
Zum Singen doch gebracht.

Alt bin ich, was ich schaffen mag;
Zwar junget sie nicht viel,
Doch weil mein Bart ist gar so grau,
Schielt sie nach jüng'rem Spiel.

Sie sucht sich einen jungen Mann,
Seit ward der Herr ein Knecht,
Und eine alte Schüssel ist
Zur Hochzeit ihm gerecht.

Mit Ruten züchtige das Weib,
Das also sünd'gen kann;
Räch an der alten Braut mich du,
Steh auf, du junger Mann!«

So ging des Pilgers Liedlein aus,
Und stille war's im Saal,
Die Lauten und die Pfeifen hell
Noch schwiegen allzumal.

Und als die Frau das Lied gehört,
Trübt sich ihr Auge klar;
Und einen goldnen Becher reicht
Dem Pilger schnell sie dar.

Es geußt der Schenk den Becher voll
Mit altem, klarem Wein;
Da senkt den Ring von rotem Gold
Der Möringer hinein.

Er sprach bei sich: »Du treuer Ring,
O wende du mein Leid
Und trau mir an zum zweiten Mal
Die herzgeliebte Maid!«

Und laut sprach er: »Geselle trau,
Komm, Schenke, diene mir,
Und trage mir vor deine Frau
Den goldnen Becher hier!«

»Ja, liebster Pilger!« sprach der Schenk;
Er sprach es tugendlich.
Den Becher trug er vor die Frau
Und neigt' in Züchten sich:

»Ach, Frau, nehmt hin, ach, liebste Frau,
Kehrt her das Angesicht!
Es sendet ihn der Pilger Euch –
Verschmäht den Becher nicht!«

Da neigte sich das Angesicht,
Schaut' in des Bechers Grund,
Dort winkt' ihr aus der klaren Flut
Das Ringlein rot und rund.

»Das ist mein Herr, der Möringer!«
Sie riefs. »Mein Herr ist hie!«
Auf sprang sie da vom Hochzeitsmahl
Und fiel vor ihm ins Knie.

»Willkommen seid, mein lieber Herr!
Wo bleibt Ihr doch so lang?
Obwohl Ihr seid des Leides voll,
Nicht sei Euch fürder bang!

Die Ehre mein, die hab' ich noch,
Sankt Thomas sei's gedankt!
Mein Mund brach sein Gelübde nur,
Mein Wille hat gewankt.

Und dünkt mein Frevel Euch zu groß,
So mauert nur mich ein!
Doch bleibet fröhlich, lieber Herr,
Denn Euer Haus ist rein.«

Der junge Herr von Neufen auch
Zu seinen Füßen sank:
»Ich schwör' es, Herr, die Frau ist rein,
Ich bin an Ehren krank!

Gebrochen hab' ich Treu' und Eid,
Euch Weib und Gut geraubt;
Ja, rächet immer Euern Schimpf,
Und schlagt mir ab das Haupt!«

Da sprach der edle Möringer
In seinem Pilgerkleid:
»Käm' aus der Fern' ich dazu her –
Mir tät' es wahrlich leid!

Gott hielt uns all in seiner Hut,
Er hat es wohl gelenkt;
Sprich, Weib, wo ist mein Töchterlein?
Daß niemand sein gedenkt?«

»Herr, aus dem Kloster kam sie heut',
Ach, Herr, wie sprachst du doch:
›Einst lüft' ich selbst den Schleier ihr.‹ –
Sieh, Herr, sie trägt ihn noch!«

Da trat aus ihrem Kämmerlein
Die Jungfrau schmuck und schlank.
»Nun, wohl gediehen ist sie doch,
Sankt Thomas, habe Dank!«

Ihr nahm der Vater alsobald
Den Schleier vom Gesicht,
Er sprach: »Ei, schauet, junger Herr,
Gleicht sie der Mutter nicht?

Nehmt hin die Hälfte meines Guts,
Werbt um das Mägdlein traut;
Euch ziemt die junge Tochter fein,
Laßt mir die alte Braut!«

Da hob der edle Möringer
Sein reuig Weib empor;
Da stand der junge Ritter auf,
Ihm lieh die Maid ihr Ohr.

Die Frauen waren beide zart,
Die Herren wohlgetan.
Ihr Pfeifer, feiert länger nicht,
Die Hochzeit hebt sich an!

 


 


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