Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Ritter vom Marquartstein

Von Eduard Duller. – Marquartstein über dem Dorf gleichen Namens, südlich vom Chiemsee gelegen.

1.
              Tief im Wald mit Pfeil und Bogen
Sitzt der Ritter, finster lauernd,
Spähend nach dem blutigen Ziele
Von dem Morgen bis zur Nacht.

»Hei! Das ist ein seltsam Jagen«,
Ruft er, »nach dem Edelhirschen;
Selbst gehetzt in bösen Tagen
Lüstet's mich nach sichrem Ziel.«

»Kuno! Kuno! Böser Waidmann,
Sag, warum du mich befehdet,
Aus dem Eigen schnöd vertrieben;
Arger Nachbar, sieh dich vor!

Hast du mir doch nichts gelassen
Als den Wald, das Haus der Eule,
Als den Bogen und die Pfeile
Und den nimmersatten Haß.

Diesen Forst wirst du durchjagen,
Komm, ich harre – laß nicht warten!
Sieh, die Rache spannt den Bogen,
Und der Haß wetzt diesen Pfeil.«

Ritter Marquart sprach's im Forste,
Schärfend seines Pfeiles Spitze,
Lauernd nach des Feindes Herzen
Von dem Frührot bis zur Nacht.

Horch! Da kam's durch Busch und Zweige.
's ist der Feind! – Empfiehl die Seele! –
Daß der Haß in Blut sich neige,
Schmiegt zur Sehne sich der Pfeil.

Und es trat aus dunklem Laube
Hell hervor im Himmelsglanze.
»Wie? Das sind des Feindes Züge?!
Schläft der Haß in diesem Blick?

Ja, sie sind's, die Augensterne,
Racheflammend aufgegangen.
Wie? Das Sternbild strahlet heute
Müd im liebevollen Glanz?

Ja, sie sind's, die dunklen Locken,
Die mein Unglück arg umrankten.
Wie? In die verwünschten Banden
Jagt mich jetzo süße Lust?

Ist der Schmerz denn in die Freude,
Ist die Rach' verkehrt in Sehnen?
Ist der Trotz vertaut in Tränen
Und der Haß gelöst in Lieb'?

Weib, in deiner Zauberschöne,
Ob du lächelst, weinest, tötest –
Jagdbewehret, kampfgerüstet,
Gleich der Heidengöttin dort. –

Kunos Tochter, Adelheide,
Wärst du? Ja! Das sind die Züge!
Rollt nicht in der Jungfrau Busen
Auch des Vaters böses Blut?!

Sind nicht ihre Blicke Pfeile,
Die den Weg zum Herzen finden,
Die die Rache kühn bezwingen
Und ertöten allen Haß?

Weh! Was ich im Vater hasse,
Liebend tritt mir's hier entgegen;
Lieb' ich, was ich sollte hassen,
Hass' ich, was mir liebend naht?«

Schönheit hat die schärfste Waffe;
Diesen Blicken stirbt sich's selig. –
Senk den Speer und brich die Pfeile,
Ernster Jäger, tief im Wald!

 
2.
»Niemals ruhn will ich noch rasten,
Bis der Feind, der Nachbarritter,
Flüchtig geht, der ärmste Bettler
In der Bayern reichem Land.

Feindlich stehn die beiden Burgen
Hoch auf Felsen hie und drüben;
Starrt dies unversöhnte Herz
Feindlich wie der Bau der Felsen.«

Also sprach auf hoher Feste
Kuno ernst, die finstern Brauen
Runzelnd und mit scharfen Blicken
Spähend nach dem fernen Forst.

»Kehrt' die Tochter noch nicht wieder,
Die mit mir zum Wald geritten
Auf dem blütenweißen Zelter,
In das heitre Spiel der Jagd?

Hat der Knapp' sie nicht gefunden,
Der da naht, der altersgraue,
Trüben Blicks, gesenkten Hauptes
Vor das Tor der Möglingburg? –

Zäume frisch den schnellsten Rappen,
Rasch zurück zum düstern Walde;
Bricht mir doch das Herz vor Grauen
Um mein einzig, teures Kind!

 
3.
Wehe, daß ich Vater heiße
Und die Tochter schnöd verloren;
Weh, die mürbe Kraft zerschmettert;
Weh, in Schand' erbleicht dies Haar!

Kind, wie hab' ich dies verschuldet,
Daß du flohst vom lieben Vater
Und dem Todfeind, dem verhaßten,
Am Altar gereicht die Hand?

Hab' dich, als du warst geboren,
Freudevoll ans Herz gehoben;
Meine Lieb' war deine Wiege,
Deine Untreu wird mein Sarg.

Alle Liebe hab' ich wuchernd
Dir allein nur zugewendet,
Daß kein Deut mir überblieben
Für die große, weite Welt.

Fluch dem Wahn, der mich betrogen,
Dem geliebten, süßen Wahne,
Daß an meinem Sterbebette
Trauernd stünd' ein liebend Kind.

Einsam in der öden Halle
Werd' ich mich zur Ruhe legen.
Keine Träne rinnt mir labend,
Und sie brechen unsern Schild.

Denn wenn sie zur Gruft mich senken,
Wird mein Stamm mit mir begraben;
Nur der Haß, der wechsellose,
Sitzt dann treu an meinem Sarg.«

 
4.
In der Kammer, eng und traulich,
Koset Marquart mit der Lieben
Kurze Stunden, kurze Monden
Auf dem festen Marquartstein.

Sind die Liebenden gefangen,
Daß sie nie ins Freie wandeln?
Liegt wohl in des Schlosses Mauern
Eng in Grenzen ihre Welt?

Nur die Lieb' hält sie gefangen,
Nur das Glück schlägt sie in Fesseln,
Nur die Wonne ist ihr Kerker,
Und ihr Himmel ist das Herz.

Aber in der Rose Kelche
Schläft der Haß, die gift'ge Schlange,
Harrend, bis der helle Morgen
Froh der Blume Brust erschließt.

Auf der Rose liegt von Tränen
Schwerer Tau, der eisig lastet:
Vaterfluch zehrt an den Keimen,
Vaterschmerz beugt tief den Kelch.

Zweier Monde barg sie heimlich,
Marquartstein, die Burg des Ritters;
Schläft wohl jetzt des Vaters Rache,
Hat der Fluch noch immer Kraft?

Und es zieht sie mächt'ges Sehnen
Aus dem Schloß zu Lenzesauen,
Einmal wieder dort zu wandeln,
Wo sie sich zuerst gesehen,

Wo der Pfeil mit süßen Schmerzen
Schütz' und Opfer sanft getroffen,
Wo auf zwei beglückte Herzen
Eine Liebessonne schien.

Das ist Blühen! Das ist Duften
In der schönen Zeit des Maien;
Spiegelt nicht die klare Welle
Sonn' und Glück im reinen Blau?!

Doch im Westen fern und drohend
Wächst die Wolke, finster brütend,
Schweren Fluges, immer näher
Wälzt sie sich in sichrer Bahn.

Weh! Wer je dem Glück vertraute! –
Wenn es jetzt auch sonnig lächelt,
Eh man mag den Blick verwenden,
Fährt der Blitz aus heiterer Höh'.

 
5.
Tief im Schilf am schönen Chiemsee
Sitzt ein Weib mit zweien Jungen,
Schön und schrecklich anzuschauen.
Riesenhaft in Wahnsinnsglut.

Sieh! Zwei Bogen, straff gespannte,
Legt sie in die Hand der Knaben,
Und zwei Pfeile, schnell beschwingte,
Reicht sie dar mit glüh'ndem Blick.

»Zwillingssöhne! Zwillingssöhne!«
Ruft sie. »Lernt die Waffen brauchen,
Seht, ich will das Ziel euch zeigen.
Dran verdient das Rittertum!

War der Trug nicht euer Vater?
Ist die Rach' nicht eure Mutter?
Zwillingssöhne, Zwillingssöhne!
Seht das Ziel dort? Trefft mir's gut!

Zwei der Söhne, zwei der Pfeile,
Eine Sünde, tausend Schmerzen. –
Faßt ihr's? – Söhn', die ich geboren,
Mutter und kein ehlich Weib!

Bergt euch tiefer! Spannt die Bogen.
Seht, da kommen sie gezogen. –
Zwillingssöhn'! Jetzt Zwillingspfeile
Auf ein zwiefach treulos Herz!«

Und es kam der falsche Ritter
Mit der Gattin Adelheide.
Marquart war's, mit süßen Worten
Schmeichelnd dem entführten Kind.

Horch! Da kam's herangeflogen –
Zischend von dem Zwillingsbogen;
Von dem Doppelpfeil getroffen
Lag der Ritter wund im Blut.

Tief im Schilf am schönen Chiemsee
Sank die Mutter mit den Knaben,
Von den Fluten still begraben.
Dumpf verbarg der See die Tat.

»Doppelliebe! – Doppelpfeile!«
Ruft der Ritter. »Wehe! Wehe!
Muß ich hier in Sünden sterben?
Weh! Wer trägt mich hin zur Burg?

Daß ich möge Ruhe finden,
Daß ein Priester, mild vergebend,
Mich entledigt meiner Sünden.
Weh! Wer trägt mich zur Kapell'?«

Und es hob die treue Gattin
An die Brust den wunden Ritter,
Schreitend durch die öden Auen
Zur Kapell' im Marquartstein.

»Richter, laß mir Gnad' ergehen!«
Stöhnt der Ritter. »Fromme Seelen,
Möchten sie mir Gnad' erflehen
Im Gebet vor Gottes Thron.

Üppig wächst der Baum der Sünden
Aus des Herzens tiefem Grunde,
Bis die Last der eignen Früchte
Kron' und Äst' und Stamm erdrückt.

Wer die Burg auf Sand gebauet,
Sehe zu, daß sie nicht stürze,
Daß der Hallen stolze Wölbung
Nicht den Bauherrn selbst begräbt.

Wie der Baum brech' ich zusammen,
Mit der Burg werd' ich zertrümmert.
Baut aus meinem Schatz ein Kloster,
Baumburg soll es sein genannt.«

Reuig lag der wunde Marquart;
Sein Gelübde fromm beschwörend
Sank die Gattin Adelheide
Treu dem Toten an das Herz.

Wer zur Stunde sei verschieden?
Schwer zu nennen war die Leiche. –
War's der Ritter dort, der bleiche?
Ist's die Frau, versteint in Schmerz?

 


 


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