Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die feindlichen Brüder

Jedes Kind kann dem Fremdling zu Lauingen die an der gegen die Donau führenden Straße gelegenen Wirtshäuser Zum Adler und Zur Krone zeigen. Beide Gebäude sind sehr merkwürdige Holzbauten und stehen, ein ernstes Denkmal aus vergangenen Tagen, wohlerhalten schon seit dem vierzehnten Jahrhundert. Die Sage rankt sich hinauf an den alten Gebäuden und erzählt dem Forscher folgende Begebenheit:

An der Stelle, an der sich jetzt die beiden Gasthöfe befinden, erhob sich, aus der Zeit herstammend, wo Lauingen noch ein Dorf war, ein großes und weitläufiges Gebäude, dessen Besitzer neben einer ausgebreiteten Ökonomie eine Wirtschaft betrieb. Ritter und Ritterfrauen, Edelknechte und Knappen wie dienstsuchende Reisige kehrten häufig ein und zechten wacker. Der Besitzer des Gasthofes hatte zu dessen Bezeichnung kecken Mutes das deutsche Reichswappen, den Adler mit der Kaiserkrone, hinausgehängt.

Als er starb, wollte jeder seiner Söhne das väterliche Anwesen haben, und da sie Zwillinge waren, konnte nicht einmal das Recht der Erstgeburt entscheiden. Beide Brüder standen in der Blüte des Lebens, frisch und fröhlich und der Waffen kundig; hatten sie ja oft genug mit den Gästen ihres Vaters zur Übung gefochten und auch im Ernst schon tapfer dreingeschlagen, wenn die Sturmglocke die wehrhafte Jugend der Stadt zum Zug gegen die Raubritter des Donaugaus rief.

Ungeachtet ihres Streites um die väterliche Hinterlassenschaft kamen die beiden Brüder fast ein Jahr lang ziemlich gut miteinander aus, bis der eine – Werner geheißen – sich mit einer ehrbaren Bürgerstochter verlobte und mit deren Heiratsgut dem Bruder das Recht auf sein Anwesen abkaufen wollte. Als er aber dies offenbarte, war sein Bruder vor Zorn ganz außer sich. »Mein väterliches Erbe verkaufe ich um ein Kaisertum nicht«, schrie er trotzig. »Bestehst du aber so sehr auf dessen Besitz – wohlan, du kannst es umsonst erhalten, oder du mußt ihm für immer entsagen. Laß uns streiten; der Sieger mag Herr des Hauses sein!«

Des Bruders höhnische Rede erzürnte auch Werner, und rasch griff er, ohne sich nur noch einen Augenblick zu bedenken, nach dem Seitengewehr, das damals jeder Mann an seiner Hüfte trug, und in wenigen Augenblicken hieben und stachen beide Brüder wütend aufeinander los, und der entsetzliche Kampf endete erst, nachdem Werner, durch einen Stich in die Brust getroffen, mit lautem Aufschrei zu Boden stürzte.

Es war, als ob dieser Anblick die Denkungsart des kaum so leidenschaftlichen Klaus gänzlich veränderte. Denn außer sich vor Schreck stürzte er zu dem Hingesunkenen und bemühte sich, das Blut zu stillen, das aus dessen Wunde quoll; doch vergebens. Die Dienstboten waren herbeigeeilt und drängten in ihn, zu flüchten, bevor das Gericht sich seiner bemächtige. Willenlos ließ sich Klaus bewegen, ein Pferd zu besteigen; aber dann ritt er, als wollte er dem eignen schmerzlichen Bewußtsein entfliehen, im sausenden Galopp über die Donaubrücke und über die Heide. Ihm begegneten Dienstmannen des Ritters von Ellerbach, der eben im Begriff stand, mit Herzog Leopold von Österreich in den Krieg gegen die Schweizer zu ziehen. Schnell trat Klaus in dessen Dienste, und bald brach man von Burgau auf.

Wohl war es ein schönes Ritterheer vom Kopf bis zum Fuß geharnischter Mannen, das Herzog Leopold gegen die Schweizer führte, die nicht viel andere Waffen besaßen als unerschrockenen Mut und das Bewußtsein, für Haus und Hof, Weib und Kinder zu fechten. – Bei Sempach kam es zur Schlacht. Viele hundert Grafen, Freiherren und Ritter fanden den Tod; auch ihr Anführer Herzog Leopold.

Klaus, der zur Rettung seines Herrn herbeigeeilt war, lag schwerverwundet auf dem Schlachtfeld und glaubte mit dem Tod sein Vergehen gegen den Bruder gutzumachen. Aber als am Tag nach der Schlacht die Schweizer die Toten plünderten, nahm sich einer von ihnen des Verwundeten an, schützte ihn gegen die Drohungen seiner Landsleute, nahm ihn mit sich nach Hause und pflegte ihn sorgfältig. Klaus genas wieder und blieb Jahr und Tag im Bauernhaus des Schweizers ein düsterer, verschlossener Mann, den man niemals lächeln sah; denn sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe. Endlich nahm er Abschied von der biederen Schweizer Familie, die ihn nur ungern ziehen ließ, und wanderte schweigend der Heimat zu.

Als er aber beim Donautor hereinschritt, fand er das elterliche Wohnhaus nicht; an dessen Stelle standen zwei Häuser, die sich in ihrem Äußeren nur wenig voneinander unterschieden. Und als er in die Wohnstube des einen Hauses trat, um zu fragen, warum sich das alles verändert habe, trat ihm gesund und lebensfrisch sein Bruder Werner, den er getötet zu haben glaubte, mit ausgebreiteten Armen entgegen, drückte ihn liebevoll ans Herz und rief: »Sei tausendmal willkommen, liebster Bruder; ich lebe, und nimmermehr sollen zwischen uns beiden Streit und Unfrieden herrschen!« Und als sich beide von der ersten Überraschung erholt hatten, fuhr er fort: »Siehe, ich habe die Ursache unseres Zwistes – das Haus – niederreißen lassen und ließ zwei gleiche Wohnungen errichten. Wähle – und willst du diese, so ziehe ich in die andere, willst du jene, so bleibe ich hier!«

Und bald begrüßte auch Werners Weib den Bruder des Gemahls, und ihre Kinder umsprangen fröhlich den Vetter.

Klaus nahm das leerstehende Haus in Besitz, und die beiden Brüder teilten das Wappen, das ehemals die väterliche Schenke bezeichnete. Werner nahm den Reichsadler und Klaus die Krone.

Ohne Zank und Hader lebten die beiden Brüder ferner zusammen, und als Klaus nach Jahr und Tag ein niedliches Schweizer Mädchen – die Tochter des wackeren Landmannes, der ihn vom wüsten Schlachtfeld gerettet hatte – zum Weib nahm, da waren die Freude und der Jubel in Lauingen groß, und wohl oft haben seitdem Geigen und Flöten im Gasthof Zur Krone aufgespielt und die Fenster von den Tritten der Tanzenden erklirrt – aber niemals so, wie an dem Tag, wo Klaus Hochzeit mit dem Vreneli hielt.

 


 


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