Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Herzog Adelger in Bayern

Zur Zeit von Kaiser Severus war in Bayern ein Herzog namens Adelger, der stand in großem Lob und wollte sich nicht vor den Römern demütigen. Da es nun dem König zu Ohren kam, daß niemand im ganzen Reich ihm die gebührliche Ehre verweigerte, außer Herzog Adelger, so sandte er Boten nach Bayern und ließ ihn nach Rom entbieten. Adelger hatte nun einen getreuen Mann, den er in allen Dingen um Rat fragte; den rief er zu sich in sein Gemach und sprach: »Ich bin ungemut, denn die Römer haben nach mir gesandt, und mein Herz steht nicht dahin; sie sind ein böses Geschlecht und werden mir Böses antun. Gern möchte ich auf diese Fahrt verzichten; rate mir dazu, du hast kluge Gedanken.«

Der alte Ratgeber antwortete: »Gern rate ich dir alles, was zu deinen Ehren steht; willst du mir folgen, so sende deine Mannen und heiße sie sich kleiden in das beste Gewand, das im Lande gefunden wird. Fahre mit ihnen furchtlos nach Rom, und sei zu allem bereit, denn du bist nicht stark genug, um wider das Römische Reich zu fechten. Verlangt der König über sein Recht hinaus, so kann's ihm übel ausschlagen.«

Herzog Adelger berief seine Mannen und zog an des Königs Hof nach Rom, wo er übel empfangen wurde. Zornig sprach der König ihm entgegen: »Du hast mir viel Leid getan, das sollst du heute mit deinem Leben gelten!«

»Dein Bote«, antwortete Adelger, »hat mich zu Recht und Urteil hierhergeleitet; was alle Römer sprechen, dem will ich mich unterwerfen und hoffen auf deine Gnade.«

»Von Gnade weiß ich nichts mehr«, sagte der König; »das Haupt soll man dir abschlagen, und dein Reich soll einen anderen Herrn haben.«

Als die Römer den Zorn des Königs sahen, legten sie sich dazwischen und erlangten, daß dem Herzog Leib und Leben geschenkt wurden. Darauf hielten sie Rat und schnitten ihm sein Gewand ab, daß es ihm nur bis zu den Knien reichte, und schnitten ihm das Haar vorn aus, damit gedachten sie den edlen Helden zu entehren.

Adelger aber ging hart ergrimmt in seine Herberge. Alle seine Mannen trauerten, doch der alte Ratgeber sprach: »Gott erhalte dich! Laß nur dein Trauern sein, und tu nach meinem Rat, so soll alles zu deinen Ehren ausgehen.«

»Dein Rat«, sagte Adelger, »hat mich hierhergebracht; magst du nun mit guten Sinnen meine Sache herstellen, so will ich dich desto werter halten; kann ich aber meine Ehre nicht wiedergewinnen, so komme ich nimmermehr heim nach Bayern.«

Der Alte sprach: »Herr, nun heiß mir tun, wie dir geschehen ist, und sende alle deine Mannen, und leih und gib ihnen, daß sie sich allesamt scheren lassen; damit rette ich dir all deine Ehre.«

Da forderte der Herzog jeden Mann gesondert vor sich und sagte: »Wer mir in dieser Not beisteht, dem will ich leihen und geben; wer mich lieb hat, der lasse sich scheren, wie mir geschehen ist.«

Ja, sprachen alle seine Leute, sie wären ihm treu bis in den Tod und wollten alles erfüllen. Zur Stunde schoren sich alle, die mit ihm gekommen waren, Haar und Gewand, daß es nur noch bis an die Knie reichte; die Helden waren langgewachsen und herrlich geschaffen, tugendreich und lobsam, daß es jeden wundernahm, der sie ansah, so vermessen war ihre Gebärde.

Früh am anderen Morgen ging Adelger mit all seinen Mannen zu des Königs Hof. Als sie der König ansah, sagte er in halbem Zorn: »Rede, lieber Mann, wer dir diesen Rat gegeben hat!«

»Ich führte mit mir einen treuen Dienstmann«, sprach Herzog Adelger, »der mir schon viel Treue erwiesen hat, der ist es gewesen; auch ist unserer Bayern Gewohnheit daheim: Was einem zuleide geschieht, das müssen wir allesamt dulden. So tragen wir uns nun einer wie der andere, arm oder reich, und das ist unsere Sitte so.«

Der König von Rom sprach: »Gib mir jenen alten Dienstmann, ich will ihn an meinem Hof halten, wenn du von hinnen scheidest; damit sollst du all meine Gnade gewinnen.«

So ungern es auch der Herzog tat, konnte er doch dieser Bitte nicht ausweichen, sondern nahm den treuen Ratgeber bei der Hand und befahl ihn in die Gewalt des Königs. Darauf verabschiedete er sich und schied heim in sein Vaterland; voraus aber sandte er Boten und befahl all seinen Untertanen, die Lehnrecht oder Rittersnamen haben wollten, daß sie sich das Haar vorn aus-, und das Gewand abschnitten, und wer es nicht täte, der hätte die rechte Hand verloren. Als es nun herauskam, daß sich die Bayern so geschoren hatten, da kam der Brauch hernach in allen deutschen Landen auf.

Es stand aber nicht lange an, so war die Freundschaft zwischen dem römischen König und dem Herzog wieder vergangen, und Adelger wurde von neuem entboten, nach Rom zu ziehen bei Leib und Leben, der König wolle mit ihm reden. Adelger, ungemut über dieses Ansinnen, sandte heimlich einen Boten nach Welschland zu seinem alten Dienstmann, den sollte er bei seiner Treue mahnen, ihm des Königs Willen, weshalb er ihn zum Hof rief, zu offenbaren und zu raten, ob er kommen oder bleiben sollte.

Der alte Mann sprach aber zu Adelgers Boten: »Es ist nicht recht, daß du zu mir fährst. Früher, als ich dem Herzog gehörte, riet ich ihm je das Beste; er gab mich dem König hin, daran tat er übel; denn verriete ich nun das Reich, so täte ich wie ein Treuloser. Doch will ich dem König am Hof ein Beispiel erzählen, das magst du dir merken, so steht es gut um seine Ehre.«

Früh am anderen Morgen, als der ganze Hof versammelt war, trat der Alte vor den König und bat sich aus, daß er ein Beispiel erzählen dürfte. Der König sagte, daß er ihn gern hören würde, und der alte Ratgeber begann: »Vorzeiten, wie mir mein Vater erzählte, lebte hier ein Mann, der mit großem Fleiß seines Gartens wartete und viele gute Kräuter und Gewürze darin zog. Dies wurde ein Hirsch gewahr, der schlich sich nachts in den Garten und fraß und verwüstete die Kräuter des Mannes, daß alles darniederlag. Das trieb er manchen Tag lang, bis ihn der Gärtner erwischte und seinen Schaden rächen wollte. Doch war ihm der Hirsch zu schnell, der Mann schlug ihm bloß das eine Ohr ab. Als der Hirsch dennoch nicht von dem Garten ließ, betrat ihn der Mann von neuem und schlug ihm halb den Schwanz ab. ›Das gebe ich dir‹, sagte er, ›zum Wahrzeichen! Schmerzt's dich, so kommst du nicht wieder.‹

Bald aber heilten dem Hirsch die Wunden, er strich seine alten Schliche und äste dem Mann Kraut und Wurzeln ab, bis dieser den Garten listig mit Netzen umstellen ließ. Wie nun der Hirsch entfliehen wollte, wurde er gefangen; der Gärtner stieß ihm seinen Spieß in den Leib und sagte: ›Nun wird dir das Süße sauer, und du bezahlst mir teuer meine Kräuter.‹ Darauf nahm er den Hirsch und zerlegte ihn, wie es sich gehörte.

Ein schlauer Fuchs lag still daneben in einer Furche; als der Mann wegging, schlich der Fuchs hinzu und raubte das Herz vom Hirsch. Wie nun der Gärtner, vergnügt über seine Jagd, zurückkam und das Wild holen wollte, fand er kein Herz dabei; er schlug die Hände zusammen und erzählte zu Hause seiner Frau das große Wunder von dem Hirsch, den er erlegt habe, der groß und stark gewesen sei, aber kein Herz im Leibe gehabt habe.

›Das hatte ich zuvorsagen wollen‹, antwortete des Gärtners Weib; ›denn hätte er ein Herz gehabt, so wäre er nimmer in den Garten gekommen, als er Ohr und Schwanz verlor.‹«

All diese kluge Rede war Adelgers Boten zu nichts nütze, denn er vernahm sie einfältig und kehrte mit Zorn gen Bayern. Als er den Herzog fand, sprach er: »Ich habe viel Arbeit erlitten und nichts damit erworben; was sollte ich da zu Rom tun? Der alte Ratgeber entbietet dir nichts zurück als ein Beispiel, das er dem König erzählte, das hieß er mich dir hinterbringen. Daß er ein übles Jahr haben möge!«

Als Adelger das Beispiel vernahm, berief er schnell seine Mannen. »Dieses Beispiel«, sagte er, »will ich euch, ihr Helden, wohl bescheiden. Die Römer wollen mit Netzen meinen Leib umgarnen; wißt aber, daß sie mich zu Rom in ihrem Garten nimmer berücken sollen. Wäre aber, daß sie mich selbst in Bayern heimsuchen, so wird ihnen der Leib durchbohrt, wenn ich ein Herz habe und meine lieben Leute mir helfen wollen.«

Als man nun am römischen Hof erfuhr, daß Adelger nicht nach Rom gehen wollte, sagte der König, so wolle er sehen, in welchem Land der Herzog wohne. Das Heer wurde versammelt und brach, dreißigtausend wohlbewaffnete Knechte stark, schnell nach Bayern auf; erst zogen sie vor Bern, dann ritten sie durch Triental.

Adelger sammelte mit tugendlichem Mut all seine Leute, Freunde und Verwandten; beim Inn stießen sie zusammen, der Herzog trat auf eine Anhöhe und redete zu ihnen: »Wohlan, ihr Helden unverzagt! Jetzt sollt ihr nicht vergessen, sondern leisten, was ihr mir gelobt habt. Man tut mir großes Unrecht. Zu Rom wurde ich gerichtet und hielt meine Strafe aus, als mich der König schändete an Haar und Gewand; damit gewann ich Verzeihung. Nun sucht er mich ohne Schuld heim; läge der Mann im Streit tot, so wäre die Not gering. Aber sie werfen uns in den Kerker und quälen unseren Leib, höhnen unsere Weiber; töten unsere Kinder, stiften Raub und Brand; nimmermehr gewinnt Bayern die Tugend und Ehre, die es unter mir gewohnt war; um so mehr, ihr Helden, wehrt beides: Leib und Land.«

Alle reckten ihre Hände auf und schworen, wer heute entrinne, solle nimmer auf bayrischer Erde weder Eigen noch Lehen haben. Gerold, den Markgrafen, sandte Adelger ab, daß er den Schwaben die Mark wehrte. Er focht mit ihnen einen starken Sturm, doch Gott machte ihn sieghaft; er fing Brenno, den Schwabenherzog, und hing ihn an einem Galgen auf.

Den Grafen Rudolf mit seinen beiden Brüdern sandte Adelger gegen Böhmen, dessen König zu Salre mit großer Macht lag und Bayern verheerte. Rudolf nahm selbst die Fahne und griff ihn vermessen an. Er erschlug den König Osmig und gewann allen Raub wieder. Zu Kambach wand er seine Fahne.

Den Burggrafen Wirent sandte Adelger gegen die Hunnen. Niemand kann sagen, wie viele der Hunnen in der Schlacht blieben; einen sommerlangen Tag wurden sie getrieben bis an die Traun.

Herzog Adelger selbst leitete sein Heer gen Brixen an das Feld, da schlugen sie ihr Lager auf; das sahen die Wartmänner der Römer, die richteten ihre Fahne auf und zogen den Bayern entgegen. Da fielen viele Degen und brach mancher Eschenschaft! Volkwin erstach den Fähnrich des Königs, daß ihm der Spieß durch den Leib drang. »Diesen Zins«, rief der vermessene Held, »bringe deinem Herrn, und sage ihm, daß er meinen Herrn schändete an Haar und Gewand, das ist jetzt dahin gekommen, daß er's ihm wohl vergelten mag.« Volkwin zuckte die Fahne wieder auf, nahm das Roß mit dem Sporn und durchbrach den Römern die Schar.

Von keiner Seite wollten sie weichen, und viele fromme Helden sanken zu Boden; der Streit währte den sommerlangen Tag. Die grünen Fahnen der Römer wurden blutig, ihre leichte Schar troff von Blut. Da mochte man kühne Jünglinge schwer verhauen sehen, Mann fiel auf Mann, das Blut rann über eine Meile. Da mochte man schreien hören nichts als »Ach« und »Weh«! Die kühnen Helden schlugen einander, sie wollten nicht von der Walstätte kehren, und fürchteten weder den Tod noch irgendeine Not; sie wollten ihre Herrn nicht verlassen, sondern sie mit Ehren von dannen bringen; das wurde ihrer aller Ende.

Der Tag begann sich zu neigen, da wankten die Römer. Volkwin, der Fähnrich, dies gewahrend, kehrte seine Fahne wider den König der Römer; auf diesen drangen die mutigen Bayern mit ihren scharfen Schwertern und sangen das Kriegslied. Da vermochten die Welschen weder zu fliehen noch zu fechten.

Severus sah, daß die Seinen erschlagen oder verwundet lagen und die Walstatt nicht behaupten konnten. Das Schwert warf er aus der Hand und rief: »Rom, dich hat Bayern in Schmach gebracht; nun achte ich mein Leben nicht länger!«

Da erschlug Volkwin den König; als der König erschlagen war, steckte Herzog Adelger seinen Schaft in die Erde neben dem Haselbrunnen: »Dies Land hab ich gewonnen den Bayern zu Ehre; diese Mark diene ihnen immerdar!«

 


 


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