Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Jakobsbrüder

Es hängt in der Kirche Maria Unter Der Ecke, unweit Peiting, eine alte Tafel; gerade kein Kunststück, was die Malerei anbelangt, doch des Gegenstandes halber, den ihre Schildereien darstellen, immerhin wert, daß man sie näher besehe.

Das ziemlich große, da und dort schon etwas schadhafte Bild ist in etwa sechzehn oder zwanzig Felder eingeteilt, in denen die verschiedenen Begebnisse einer Geschichte nach der Ordnung ihres Verlaufes abkonterfeit sind, zu deren Gedächtnis das Gemälde vor langen Jahren gefertigt worden ist. Unter jedem der einzelnen Bilder ist ein Reimspruch zu lesen, und abermals – wie bei dem Meister Maler – muß man an des Dichters Werk nicht so sehr seiner Reime Zierlichkeit als vielmehr ihren Inhalt in Anschlag bringen.

Vor etwa drei- oder vierhundert Jahren – so lange her ist es gewiß, weil besagte Tafel bereits Anno 1628, wenn ich mich recht entsinne, renoviert wurde, wie darauf zu lesen ist – waren unter allem Christenvolk die Pilgerfahrten nach manchen heiligen Orten noch viel im Brauch. Obenan in der Reihe solcher vielbesuchter Stellen blieben freilich noch immer unseres Heilands Grab zu Jerusalem und das Land Palästina, wo in den Fußstapfen des Herrn die Betfahrer wandern konnten von der Krippe in Bethlehem bis auf den Kalvarienberg; aber dazumal war es bereits wieder mit mächtigen Schwierigkeiten und vielfachen Gefahren verbunden, dahin zu gelangen. Das christliche Königreich Jerusalem war wieder an die Ungläubigen gefallen, und so wandte sich die fromme Wanderlust um so eifriger nach den gottbegünstigten Orten des Abendlandes; nach Rom, nach Loretto, vor allem nach Sankt Jakobs Grab zu Compostela im spanischen Land. Es sind uns noch aus jener Zeit viele Lieder aufbewahrt, wie sie die Pilgrime sangen, die nach Sankt Jakob fuhren und dabei viel Not und Elend und manch Abenteuer erlitten, allzeit aber gerettet und gebessert heimkehrten, weil es Gott allen lohnte, die Sankt Jakob dienten.

Solchen Gotteslohn zu erwerben, zog, wie meine Tafel in Bild und Schrift vermeldet, ein Mann mit seinem Sohn aus nach Compostela. Der Name dieser Pilgrime ist nicht auf dem Gemälde verzeichnet, auch nicht, woher des Landes sie waren; so viel aber bestätigt das Lied, daß sie Deutsche waren, und ich halte sie denn gutmeinend für ein paar ehrliche Schwaben. So sehen wir nun aus ihrem friedlichen Heimwesen am Waldufer des Lechs oder aus den Geländen des Allgäus die zwei Jakobsbrüder auswandern, ganz wie das alte Lied verlangt: mit der Schüssel bei der Flaschen, den breiten Hut und den Mantel mit Leder wohl besetzt, »es schnei, oder regn' oder wähe der wint, daß in die luft nicht nezet«.

Sack und Stab fehlen auch nicht, und so lassen wir sie das Elent bauenSo sagte man vor alten statt »in die Fremde ziehen«. im Schweizer Land, in Savoyen, Languedoc und Hispanierland, lassen sie den Berg von Roncesvalles übersteigen, wo »viel manches Biedermanns Kind aus deutschen Land begraben leit«, bis sie endlich einziehen in Sankt Jakobs Münster.

In der Stadt zu Compostela nahmen sie ihre Einkehr bei einem Wirt, einem bösen, gott- und ehrvergessenen Mann, was aber freilich die zwei Fremdlinge nicht wußten, die in dem welschen Land die fromme Einfalt ihrer Heimat nicht aufgegeben haben und noch jeden Mann fürs erste auch für einen ehrlichen ansahen. Obwohl ich dafür halte, daß der Säckel der guten Gesellen nicht allzu straff angefüllt gewesen sein mochte, so war ihr bißchen Hab und Gut doch groß genug, den schlechten Herbergvater anzureizen, es sich durch List oder Gewalt anzueignen.

War es nun wieder nicht sonderlich weltklug von den Betfahrern gewesen, daß sie die etlichen Goldgulden oder Silberlinge ihrer Barschaft in der wilden Fremde so unbedenklich vor jedermanns Augen brachten, so hielten sie wohl dafür, daß ein Gast sicher sein sollte in eines Mannes Haus, dessen Salz er genossen hatte, und vergaßen ob des Glaubens an das gute Gastrecht ganz das Sprüchlein: »Trau, schau, wem.« Der habgierige Wirt machte aber von Stund an, da er der Fremdlinge Reisepfennig gesehen hatte, seine Pläne und Anschläge, wie er dessen am besten habhaft würde, und er war vorerst der Freundlichste und Dienstwilligste gegen seine Gäste, labte sie mit Speis und Trank, wies ihnen ein gutes Lager an und rechnete auch, was billig und gebräuchlich war, so daß er in allem für einen rechtschaffenen Gastgeber gelten mochte, wofür ihn die zwei Schwaben gehalten hatten.

So gut verpflegt, gingen diese mit desto unbeschwerterem Gemüt, ledig aller Weltsorgen, ihren geistlichen Geschäften nach, pflegten ihre Andacht am Grab des Apostels, empfahlen ihm und dem lieben Gott ihre allgemeinen und besonderen Anliegen und dachten nach genügender Zeit wieder an die Heimkehr. Sie rechneten darum mit ihrem Wirt zu beiderseitiger Zufriedenheit ab, schliefen noch einmal in guter Bequemlichkeit recht nach Herzenslust, um für alle Strapazen gestärkt zu sein, und wanderten am nächsten Tag bei guter Zeit hinaus vor das Tor zu Compostela morgenwärts, wo das freilich noch weit entlegene liebe Schwabenland ihrer wartete.

Noch hatten sie nicht eine viertel Wegstunde hinter sich, da kamen ihnen auf gut ausgreifenden Pferden etliche Männer nachgetrabt, die sie anriefen, stehenzubleiben in des Königs Namen. Als die Reiter sie eingeholt hatten, erkannten unsere Pilger sogleich ihren Herbergvater darunter, aber auch bewaffnete Schergen und Gerichtsleute, und der Vornehmste aus diesen sprach: »Wir ergreifen euch als unsere Gefangenen, denn ihr seid Diebe und Räuber.«

Das hörten sie mit nicht geringem Erstaunen; aber noch bestürzter und völlig verwirrt machte es sie, als ihr Wirt anhob, sie zu beschuldigen, aus seinem Haus einen kostbaren, goldenen Becher entwendet zu haben, und bei allen ihren Beteuerungen desto hartnäckiger darauf bestund, niemand anderer als diese fahrenden Gauche könnten das Geschmeide gestohlen haben. Ohne ihre Eide und Klagen zu beachten, führten die Reiter sie auch zurück nach der Stadt und auf das dortige Richthaus, wo sich der Richter alsbald hinsetzte, ihnen auf des Wirtes wiederholte Anklage das Recht zu sprechen. Und siehe – als man ihre Wanderbündel durchsuchte, fand sich in des älteren Wallfahrers Gepäck ein goldener Becher, den auch der falsche Gastgeber sogleich als den seinen erkannte. Es half nicht viel, daß der Pilgrim bei Gott und allen Heiligen, ja selbst bei dem Landspatron Sankt Jakob schwor, er wisse nicht, wie der Becher in seine Tasche gekommen sei; der Richter hatte Beweise genug für seine Schuld und sprach ihm das Urteil, daß er gehängt werden solle, und zwar noch in der nächsten Stunde. Sein bißchen Hab und Gut wurde auch eingezogen und dem Bestohlenen, dem Wirt, zugesprochen, der somit sein böses Verlangen erfüllt sah.

Als nun der junge Pilger merkte, daß kein Erbarmen und keine Rettung zu erwarten seien, da man über seinem Vater den Stab brach und ihn dem Freimann überantwortete, fiel er vor dem Richter auf die Knie und bat hoch und teuer, daß man ihn an seines Vaters Statt wegnehmen und sterben lassen möchte. Es hob ein schöner, herzergreifender Streit an zwischen den zwei armen Gesellen; ein jeder wollte dem anderen zuliebe den Tod erleiden. Dennoch bat und sprach der Sohn viel dringlicher und überredender, wie daß der Vater sich am Leben erhalten und als die notwendige Stütze und Hilfe der Seinen zur Mutter und den Geschwistern getrost heimkehren sollte und ihm vergönne, Gott und dem vierten Gebot zuliebe an seine Stelle zu treten. So wurde denn zuletzt der junge Betfahrer von dem Richter an seines Vaters Statt angenommen, vor die Stadt hinausgeführt und am Galgen aufgehängt.

Zur selben Stunde lag der Alte in Sankt Jakobs Münster auf den Knien und klagte dem Heiligen seine bittere Not und seines unschuldigen Kindes Verlust, und er betete so recht aus innerstem Herzen zu Gott, brünstig und lange, bis mit einem Mal ein wunderbarer Trost und Mut über ihn kam und er in solch gottesfreudiger Beruhigung sich aufmachte auf den Heimweg. Er mußte da an dem Hochgericht vorüber, wo sein Sohn hing, und – o Wunder! – er sah sogleich, als er einen letzten Abschiedsblick auf dessen Leiche richtete, daß noch Leben in dem Gehenkten wäre, worauf dieser ihn sogar ansprach und zum festen Vertrauen auf Gott aufforderte, der ihnen noch sicherlich helfen werde.

Darauf lief der Vater stracks zu dem Richter, zeigte ihm an, was sich begeben hatte, und dieser, nicht wenig erstaunt, ging sogleich mit ihm, den wunderbaren Fall zu untersuchen. Als sie an des Wirtes Haus vorüberkamen, hieß sie eine innere Stimme eintreten und dem Bösewicht das Gericht Gottes verkünden, das so laut für die Unschuld gesprochen hatte. Sie fanden den falschen Mann guten Mutes hinter einem gedeckten Tisch, an dem er es sich wahrscheinlich recht wohl sein lassen wollte, weil ihm sein Bubenstück so ganz nach Herzenslust gelungen war. Aus dem goldenen Becher trank er kühlen Wein, und man hatte ihm ein paar gebratene Tauben vorgesetzt.

»Wisse, du arger Bösewicht und Lügner«, rief ihm also der alte Pilgrim zu, »daß mein unschuldiger Sohn noch lebt durch Gott und Sankt Jakobs Hilfe und daß deine Schandtat an den Tag kommen wird!«

Da lachte der Wirt und spottete: »Ei, du alter Narr, an deine Mär will ich dann glauben, wenn diese gebratenen Tauben auf und davon fliegen.«

Er hatte kaum solche frevelhaften Worte ausgesprochen, als auch schon die Tauben aus der Schüssel sich erhoben und frisch und frei durch das offene Fenster gen Himmel flogen. Nun stand er wohl wie vom Wetterstrahl getroffen; es ließ ihn auch der Richter ergreifen und binden und führte ihn mit sich.

Mittlerweile hatten die Fronboten den Knaben des Pilgers vom Galgen genommen, den sie gesund und wohlbehalten zu dem hocherfreuten Vater begleiteten, an seiner Stelle aber noch in selber Stunde den falschen Wirt aufknüpften.

Freudig und frohlockend und mit dem Gewinn eines niemals schwankenden Gottvertrauens zogen nun die zwei Jakobsbrüder heimwärts, wo sie ihre wunderreiche Geschichte zu Gottes Lob und Ehre verkündeten und vielleicht auch jene alte Tafel zu frommem Gedächtnis malen ließen, die uns dazu verhalf, den geneigten Lesern diese alte Sage mitzuteilen, aus der sie am besten selbst die allzeit neue Lehre abnehmen mögen: »Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut«, oder: »Wer anderen eine Grube gräbt« usw.

 


 


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