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Spät am Abend kam Benda. Er war über das Vorgefallene ziemlich genau unterrichtet. Im Flur hatte er Agnes getroffen und die sonst so Einsilbige wider Erwarten mitteilsam gefunden. Sie hatte aber nur bestätigen können, was er von den Leuten schon erfahren hatte.
Sie begleitete ihn in den Oberstock, und er stand lange vor den ausgebrannten Räumen, in denen zwei Männer von der Feuerlöschtruppe Wache hielten. »Alle seine Noten sind verbrannt,« sagte Agnes, und Benda dünkte es kaum möglich, dem Freund nach einem solchen Ereignis gegenüberzutreten. Doch schämte er sich seiner Scheu und ging hinunter zu Daniel.
Es war im Haus wieder ruhig geworden.
Daniel hatte in der Wohnstube eine Kerze angezündet. Als es ihm nach einer Weile zu düster schien, zündete er noch eine Kerze an.
Er schritt auf und ab. Der Raum wurde ihm zu klein, er öffnete die Tür zum Zimmer Dorotheas und ging nun auch durch dieses, immer auf und ab. Wenn er in die dunkle Stube kam, bewegten sich jedesmal seine Lippen zu einem Murmeln, und wenn er in die beleuchtete zurückkehrte, sah er ein paar Sekunden lang ins Kerzenlicht.
Seine Züge hatten den Ausdruck eines Leidens, das größer nicht mehr sein konnte. Den eintretenden Benda schien er nicht zu gewahren.
»Alles hin? alles vernichtet?« fragte Benda, nachdem er Daniels Wandern fast eine Viertelstunde zugesehen hatte.
»Ein Grab neben andern Gräbern,« murmelte Daniel mit einer Stimme, die nicht wie seine eigene klang. Er hob dann auch den Kopf, gleichsam erstaunt über die Stimme. Ihm schien, es sei ein Fremder unhörbar ins Zimmer getreten.
»Und auch das letzte, das große Werk, von dem du mir erzählt hast, die Frucht vieler Jahre?« fragte Benda weiter.
»Alles,« entgegnete Daniel in die Luft hinein, »alles, was ich an Musik geschaffen habe, seit ich Ursache haben durfte, an mich zu glauben. Die Sonaten, die Lieder, das Quartett, der Psalm, die Harzreise, Wanderers Sturmlied und die Symphonie, alles bis aufs letzte Blatt.«
Ja, es war ein Fremder da, denn man hörte ihn leise lachen. »Warum lachst du?« fragte Daniel streng und rückte seine Brille zurecht.
Benda antwortete erschrocken: »Ich habe nicht gelacht.«
»Das Gras steht wieder auf, die Ode verschlingt ihn,« sagte der Fremde. Er trug einen altertümlichen Anzug, ein komisches Mützchen und hatte Stulpenstiefel an den Beinen. Den sollt ich doch kennen, fuhr es Daniel durch den Sinn, und mit trübem Blick überlegte er.
Das ist ja wie Mord, unerhörter Mord, schrie es in Benda; wie kann er es ertragen, was wird er tun?
»Was ist nun zu tun?« nahm Daniel laut den Gedanken Bendas auf und schielte im Hin- und Hergehen bisweilen nach dem Fremden, der langsam durch das Zimmer gegen den Erker schritt; »was kann irgendeine menschliche Phantasie sich vorstellen, daß man danach tut? Nichts! Versinken; in Verrücktheit versinken.«
»Oho!« ließ sich der Fremde vernehmen, »das ist stark.«
Wenn er doch schwiege, dachte Daniel gequält. »Du wirst ja wissen, was sich mit der begeben hat, die ich mein Weib genannt habe,« fuhr er fort. »Daß ich mich an diesen eitlen und seelenlosen Geist eines Spiegels weggeworfen habe, ist unerheblich. Sind schon Gewaltigere als ich ins Netz geraten und haben sich verstrickt. Den Wahn hab ich nie gehegt, als wär ich gefeit gegen alles Blendwerk dieser Erde. Obwohl ich der Meinung war, daß ich Wahrheit und Lüge wittern und voneinander unterscheiden könne wie eine Hand das Trockene vom Feuchten. Aber den Zusammenhang mit dem andern fass' ich nicht, die Notwendigkeit dieses Gräßlichen fass' ich nicht.«
»Recht ist dir geschehen,« sagte der Eindringling mit den Stulpenstiefeln. Er hatte sich auf einen Stuhl beim Erker gesetzt und sah ganz freundlich aus.
»Warum?« brüllte Daniel stehenbleibend.
Mit bestürztem Gesicht erhob sich Benda. »Sprich dich aus, Daniel,« drängte er liebevoll, »sprich dir alles von der Seele!«
»Könnt ich's, Friedrich, könnt ich's nur! Wär mir nur die Zunge gegeben! Oder daß es einer mit mir fühlte und sagen könnte!«
»Versuchs; das erste Wort ist oft wie ein Funken und erzeugt Flammen.«
Daniel schwieg. Der Eindringling sagte an seiner Stelle bedächtig: »Das geht tief hinab in die Höhlen der Brust und hoch hinauf zu den unsterblichen Dingen.«
Da blickte Daniel scharf zu ihm hinüber und sah, daß es das Gänsemännchen war.