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Er meinte, der Umgang mit wahlverwandten Männern könne ihn über manche schlimme Stunde bringen. Aber als er nach solchen Männern zu suchen begann, wurde die Stadt zur Einöde.
Der Provisor Seelenfromm kam einige Male ins Haus. Daniel war unduldsam und auffahrend gegen den scheuen Menschen, der einen hohen Respekt vor ihm an den Tag legte und Gertrud stumm verehrte. Ein junger Architekt, der bei der Renovierung der Sebalderkirche beschäftigt war und die Musik liebte, hatte Daniels Gefallen erweckt, aber der Mann hatte die leidige Gewohnheit, beim Reden hie und da mit der Zunge zu schnalzen, das machte Daniel rasend, sie hatten einen Wortwechsel darüber und trennten sich im Zorn. Dauernder war die Beziehung zu einem Franzosen namens Rivière, der für einige Jahre in der Stadt Aufenthalt genommen hatte, weil er ein Buch über Caspar Hauser schreiben wollte. Er hatte ihn bei Frau von Auffenberg kennen gelernt und sich ihm angeschlossen, weil er ihn an Friedrich Benda erinnerte.
Monsieur Rivière liebte es, wenn Daniel am Klavier phantasierte; er verstand so wenig Deutsch, daß er Daniels Bissigkeiten höflich belächelte und bei seinen Wutausbrüchen ängstlich auf seinen Mund starrte. Er hatte eine Warze auf der Wange und trug Sommer und Winter hindurch einen Strohhut. Er kochte sich seine Mahlzeiten selbst, denn es war seine fixe Idee, daß man ihn wegen seiner Forschungen über das Leben Caspar Hausers vergiften wolle.
Wenn der Provisor und Monsieur Rivière an Sonntagabenden in der Stube saßen, griff Daniel bisweilen nach einem Band E.T.A. Hoffmann oder Brentano, nur um im Bogen einer fremden Welt Ruhe zu gewinnen, um nicht weinen zu müssen beim Anblick der unbewegten Menschengesichter und las vor, bis seine Stimme heiser wurde.
Da heftete Gertrud tiefe Blicke auf ihn und stellte sich die Frage, wie ein Mann, dessen Leben die Musik war, das Paradies des Herzens und des Geistes, so dumpf, so zerstört, so umwölkt sein könne. Sie begriff die Pein, in der er schuf; sie ahnte die labyrinthische Verschlingung seiner inneren Schicksale, aber ihr Gemüt erkrankte im Mitfühlen und sie wünschte, wünschte es glühend, mehr Glauben und mehr Freude in seine Seele pflanzen zu können.
Sie ging mit sich zu Rate und es wollte ihr scheinen, daß er in der Zeit, wo er mit Lenore viel verkehrt, gläubiger und froher gewesen war. Sie sah Lenore mit ganz anderen Augen an als früher; nicht allein, weil sie in der Schwester die Urheberin ihres Glückes erblickte, sondern auch, weil durch die Verwandlung ihres Wesens dort Liebe und Erleuchtung entstanden war, wo früher Argwohn und Unwissenheit geherrscht hatten.
Sie schrieb Lenore diejenigen Kräfte zu, die ihr mangelten, Überlegenheit und aneifernde Gewalt, ein Spielenkönnen, das den Ernst versüßte und das Schwere leichter machte, Helligkeit des Wortes und Zartheit der Hand. In den Grübeleien ihrer vielen einsamen Stunden erschien ihr Lenore als die einzige, die ihr helfen konnte, und sie ging in die Wohnung des Vaters, um Lenore zu fragen, weshalb sie so selten komme.
»Ich geh nicht gern zu euch hinüber, Daniel ist so unfreundlich mit mir,« sagte Lenore.
Gertrud antwortete, er sei unfreundlich gegen alle Menschen, auch gegen sie selbst, und sie möge sich doch daran nicht kehren. Sie wisse genau, daß er Lenore gern habe, vielleicht sei er seinerseits gekränkt, weil sie nicht mehr kam.
Lenore ließ sich überreden und kam nun wieder häufiger zu Daniel und Gertrud. Aber wenn es auch nicht gerade den Anschein hatte, daß Daniel ihr auswich, so redete er doch nur das Notwendige mit ihr und ergriff gern einen Vorwand, das Zimmer zu verlassen, wenn sie da war. Lenore fühlte es, und es tat ihr weh.