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Fünfunddreißig Minuten, nach der Uhr gezählt, mußte er im Vorzimmer warten. Er stellte bittere Betrachtungen an über die Verkümmerung des Gleichheitsgefühls bei den besitzenden Klassen. Ein richtiger Rebell, verleugnete er sich selbst dort nicht, wo er Verrat übte.
Als er endlich in das Arbeitszimmer des Barons geführt wurde, war er nicht geblendet von dem Luxus der Möbel, der Teppiche, der Ölgemälde; nicht untertanenhaft gedrückt von dem erlauchten Wesen des Freiherrn. Er setzte sich ungezwungen, Bein neben Bein, auf einen Stuhl, nahm weder Notiz von einem französisch schwatzenden Papagei, noch von einem mit Leckerbissen beladenen Frühstückstisch, sondern brachte sein Anliegen mit geziemender Schlichtheit vor.
»Sehr schön,« sagte der Freiherr, »sehr schön. Ich glaube, Sie brauchen die Schlachtfront gar nicht wesentlich zu verändern. Einer von den gewissenlosen Umstürzlern waren Sie ja nie. Sie haben Familie, Sie haben ein Heim, Ihre Verhältnisse sind geregelt, und im Grunde Ihres Herzens lieben Sie die Ordnung. Ich habe Sie längst erwartet. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, Sie mußten zu uns kommen.«
Jason Philipp errötete vor Vergnügen. In der Haltung eines Lohnkutschers, der ein Trinkgeld einsteckt, antwortete er: »Sehr verbunden, Herr Baron.«
»In einem Punkt sind wir ja sicherlich einig,« fuhr Herr von Auffenberg fort, »und im wichtigsten, will mir scheinen –«
»Gewiß, gewiß,« fiel ihm Jason Philipp in die Rede, »Sie spielen natürlich auf den Kampf gegen Bismarck an, Herr Baron. Ja, darin sind wir, will ich hoffen, vollkommen einig. Da stell ich meinen Mann. Eid und Handschlag! Diesen Ritter von der Finsternis könnte ich kalten Blutes auf der Folter winseln sehen.«
Herr von Auffenberg nahm die temperamentvolle Erklärung mit etwas dünnem Lächeln auf. »Nur nicht so gewalttätig, Verehrtester,« sagte er. Er griff nach einem Riechfläschchen und hielt es an die Nase, wobei er die Augen schloß. Dann ging er mit den Händen auf dem Rücken ein paarmal durch das Zimmer.
Was er dann sprach, war ihm geläufig wie das Abc, und während Jason Philipp begeistert auf seinen Mund starrte, dachte der Baron an ganz andere Dinge, die mit seiner Rede ganz und gar keinen Zusammenhang hatten.
»Derselbe Mann, der das neue Reich mit Hilfe einer liberalen Gesetzgebung wohnlich machen wollte, der den alten Streit zwischen Kaiser und Papst rühmlich zu Ende zu führen versprach, derselbe Mann ist jetzt am Werke, Stück für Stück der liberalen Traditionen zu zerstören und den römischen Oberpriester als Friedensbringer anzurufen. Was der Kanzler tun konnte, um dem deutschen Freisinn den Todesstoß zu versetzen, hat er getan. Die Reaktion hat nicht davor zurückgebebt, an Stelle des Kulturkampfes einen schändlichen- Klassen und Rassenhaß wachzurufen und bis zu blutigen Ausschreitungen großzusäugen, um angesichts ihrer Verbrechen die eigenen Kinder zu ächten und zu verstoßen.«
»Depêche-toi, mon bon garçon,« krächzte der Papagei.
»Ich bin glücklich darüber, den Mächten der Unordnung eine Beute entrissen und dem Staat einen Bürger gewonnen zu haben, mein lieber Herr Schimmelweis. Doch ist es ratsam, daß Sie sich in der nächsten Zeit etwas im Hintergrund halten. Man wird Ihren Gesinnungswechsel zum Gegenstand lärmender Angriffe machen und das könnte der Sache schaden.«
Zu Hause erzählte Jason Philipp, wie er mit offenen Armen empfangen worden sei, was der Baron gesagt, was er, Jason Philipp, geantwortet, wie sie sich in weittragende Erörterungen eingelassen und daß diese Zusammenkunft später einmal zu den historisch bedeutsamen gerechnet werden würde.