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Am Abend ging Daniel mit Benda in dessen Wohnung. Benda zeigte ihm Waffen und Geräte, die er aus Afrika mitgebracht und verbreitete sich bei einigen der merkwürdigsten Stücke über die Sitten der Negervölker.
Dann bekam er Kopfweh, setzte sich in den Lehnstuhl und schwieg lange. Er sah plötzlich wie ein Greis aus; die Zerstörung, die sein Körper erlitten hatte, wurde augenscheinlich.
»Hast du einmal Dorotheas Mutter gesehen?« fragte er, das tiefe Schweigen endend.
Daniel schüttelte den Kopf. »Es heißt, sie vegetiert nur noch da draußen in der Anstalt,« erwiderte er.
»Ich habe mir sagen lassen, daß sich weder Andreas Döderlein noch seine Tochter in all den vielen Jahren um die unglückliche Frau gekümmert haben,« fuhr Benda fort. »Nun, was von Andreas Döderlein zu halten ist, weiß ich ohnehin.«
Daniel blickte empor. »Du hast mir einmal eine Andeutung gemacht, als hätte Döderlein in bezug auf die Frau eine Schuld auf sich geladen. Entsinnst du dich? Hängt das mit Dorothea und ihrem Leben zusammen? Kannst du darüber sprechen?«
»Ja, ich kann's,« antwortete Benda. »Es hängt auch mit Dorothea zusammen, und vielleicht erklärt sich manches in ihrer Art daraus, daß sie unter einem solchen Vater aufwachsen und eine solche Mutter verlieren mußte. Es ist eine eigene Verkettung, daß ich nun in dein Schicksal verflochten bin.«
Er schwieg erinnerungsvoll, dann begann er: »Hättest du Margaret Döderlein gekannt, sie wäre dir ebenso unvergeßlich, wie sie es mir ist. Sie und Lenore, das waren die beiden musikhaften Frauen, denen ich im Leben begegnet bin, ganz Natur, ganz Seele. Margarets Jugend war ein Kerker. Ihr Bruder Carovius war der Kerkermeister. Als sie Döderlein heiratete, glaubte sie dem Kerker zu entrinnen, aber sie vertauschte ihn nur. Trotzdem wußte sie kaum, wie ihr geschah. Sie nahm alles auf sich, alles mit gleicher Treue, gleicher Sanftmut; ihr Inneres blieb unzernagt und unverbittert.«
Er stützte den Kopf auf; seine Stimme wurde leiser. »Wir liebten uns, ehe wir noch miteinander gesprochen hatten. Ein paarmal trafen wir uns auf der Straße, ein paarmal im Park, ein paarmal kam sie heimlich in die Galerie herauf. Ich war nicht rückhältig, ich habe ihr mein Leben angeboten, aber sie antwortete stets, ohne ihr Kind könne sie nirgends glücklich sein. Ich achtete dies Gefühl und bezwang mein eigenes. Eine Weile blieb es so, wir quälten uns, wollten verzichten, wurden wieder zueinander gezogen, da fügte es sich, daß Döderlein Verdacht schöpfte; ob durch fremde Einflüsterungen oder durch bloße Beobachtung der Frau, die zu heucheln nicht fähig war, kann ich nicht entscheiden. In perfider Weise fing er an sie zu martern, ihr Gewissen zu beunruhigen, und eines Nachts tritt er an ihr Bett, hält ihr ein Kruzifix vor, zwingt sie durch Drohungen und große Worte, ihm einen Eid zu leisten, zwingt sie, bei dem Leben ihres Kindes zu schwören, daß sie ihn niemals betrügen würde. Sie schwor.
»Ja, Freund, sie schwor, und dieser Schwur dünkte ihr viel feierlicher und verpflichtender als der erste vor dem Altar. Ich wußte nichts davon, sie entzog sich mir; ich ertrug es nicht. Da kam sie noch einmal, um Abschied zu nehmen, und es gab einen Augenblick, wo unsere Kraft und Besinnung dahin war. Nun trat das Verhängnis ein; das zarte Wesen erlag unter dem Schuldgefühl, Herz und Geist verdüsterten sich ihr, sie hatte den Wahn, das Kind sieche unter ihren Händen zu Tode, und eines Tages brach sie zusammen.«
Benda erhob sich, trat ans Fenster und schaute in die Dunkelheit.
Daniel war es, als schnüre sich ein Strick um seinen Hals. Er stand gleichfalls auf, murmelte einen Gruß und ging.