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Wie in einer früheren Zeit, deren sie ungern gedachten, waren Daniel und Lenore ganz in ein gegenseitiges Verstummen geraten. Oft gingen sie auf der Stiege bloß mit einem flüchtigen Nicken aneinander vorüber, und kam Lenore zur Schwester, so zog sich Daniel wortlos zurück.
Einmal kam sie, als Gertrud nicht zu Hause war. Daniel war verstockt, und Lenore brachte ebenfalls kein vernünftiges Wort über die Lippen. Er ertrug ihren Anblick nicht; ihre Blässe und die äußere Heiterkeit, die sie sich erkämpft hatte, verdächtigte er. »Es ist ein unwürdiger Zustand, Lenore,« stieß er hervor, »machen wir ein Ende.«
Ein Ende machen? Ja, wie denn? dachte Lenore. Jeder Tag schmiedete die Kette fester.
Auch Gertruds Anblick war für Daniel eine Qual. Er fühlte sich von ihr beobachtet und spürte ihre Angst um ihn. Dazu rückte das Ereignis immer näher, das sie mit dem Schimmer des Leidens umgab und der Schonung empfahl. Ihre Züge, obwohl hager und entstellt, hatten im Ausdruck etwas dunkel Verklärtes.
Als Gertrud es eine Weile mit angesehen hatte, wie er seiner Arbeit entfremdet wurde und an nichts mehr Freude hatte, beschloß sie, mit Lenore zu reden. Sie tat es ohne Vorbereitung und ohne Zartheit.
»Siehst du denn nicht, daß du ihn zugrunde richtest?« rief sie ihr zu.
»Du willst also, daß ich zugrunde gehe?« fragte Lenore überrascht und erschrocken. Sie hatte den ganzen Umfang von Gertruds Verzicht sogleich begriffen.
»Was liegt an dir?« entgegnete Gertrud hart, »wofür hebst du dich auf?«
Dieses Wort brachte in Lenore alle Vorstellungen von Pflicht und Ordnung ins Wanken. Mit ungläubigen Augen schaute sie die Schwester schweigend an. Nicht mehr die glückliche und sanfte Gertrud hatte so gesprochen, sondern die von ehedem, die einsame und lieblose.
Was liegt an dir, wofür hebst du dich auf! Das hieß so viel als: mach kurzen Prozeß mit deinem Leben und spinn' die kleine Episode in seinem nicht überflüssig in die Länge.
Da faßte sich Lenore ein Herz, um das Vorhaben endlich auszuführen, das sie lange Zeit bei sich erwogen hatte und auf das sie ihre letzte Hoffnung setzte.
Eines Abends ging sie auf Daniel zu und sagte: »Ich möchte mit dir nach Eschenbach gehen, Daniel, und deine Mutter besuchen.«
»Warum möchtest du denn das?« fragte er verwundert. Er und die Mutter schrieben einander nicht, das lag nun einmal im Wesen beider und in ihrem Verhältnis; aber er wußte, daß Lenore dann und wann einen Brief aus Eschenbach erhielt und daß sie ihn beantwortete, ohne mit ihm darüber zu sprechen. Erst jetzt im Zusammenhang mit ihrer Bitte fiel ihm dieses als merkwürdig auf.
Als sie nach ein paar Tagen den Wunsch wiederholte, willfahrte er ihr, und sie vereinbarten den nächsten Sonntag für den Ausflug.