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Um jene Zeit wuchs Friedrich Bendas Verstimmung. Er sah, daß er als Privatmann sich der Hilfsmittel begeben mußte, deren er für seinen Forscherberuf bedurfte, und es schien ihm, als sei er verurteilt, seine Fähigkeiten in ewiger Dunkelheit zu begraben.
Er brach die meisten seiner bisherigen Beziehungen ab, auch die brieflichen. Wenn ihn Bekannte grüßten, blickte er zur Seite. Sein Ehrgefühl war aufs tiefste verwundet, er war auf dem Weg, auf dem man die Selbstachtung verliert.
Daniel war der einzige Mensch, der davon nichts bemerkte. Vielleicht hatte er sich in den Gedanken eingelebt, Bendas Existenz sei eine freundlich geregelte, und es genügte ihm der Anblick, den die bürgerliche Wohlhabenheit des Hausstandes bot, um ihn an ein sorgenloses Dasein des Freundes glauben zu lassen; jedenfalls fragte er nie, und es fiel ihm nicht auf, wenn der Gefährte so vieler Stunden mit umdüstertem Antlitz vor ihm saß.
Benda lächelte über diese Unschuld, denn für etwas Schlimmeres nahm er es nicht. Weit entfernt, bitter darüber zu denken, faßte er den Vorsatz, den so tief in sich selbst webenden Menschen mit seinen Angelegenheiten gänzlich zu verschonen. Er konnte aber nicht hindern, daß sein Schmerz, wie auch das Verlangen, seine unwürdige Lage zu beenden, die Schranken der Zurückhaltung bisweilen durchbrachen.
An einem trüben Tag, spätnachmittags, holte Benda den Freund ab, der eben von einer Unterrichtsstunde nach Hause gekommen war. Sie beschlossen, ein wenig spazieren zu gehen und dann bei Benda zu Abend zu essen.
Im Flur begegneten ihnen die Schwestern Rüdiger, die von ihrer täglichen Wanderung durch den Garten zurückkehrten. Benda grüßte mit seiner altertümlichen Artigkeit, Daniel berührte mürrisch kaum den Hutrand. Die Schwestern stellten sich in einer Reihe auf wie beim Kotillon und dankten holdselig. Fräulein Jasmine ließ eine verspätete Rose aus der Hand fallen, und als Benda die Rose aufhob, preßte das Fräulein die Hand gegen den kaum der Rede werten Busen und dankte abermals holdselig.
Als sie auf der Straße waren, sagte Benda in mitleidigem Ton: »Drei zarte Wesen; hausen in ihrer Einsamkeit als rechte Vestalinnen und hüten ein heiliges Feuer.«
Daniel lachte. »Ein heiliges Feuer gar? Meinst du die Geschichte mit dem Maler?«
»Ja, die mein ich, und es war kein gewöhnlicher Maler, mußt du wissen. Erst kürzlich hab ich mir die ganze Sache erzählen lassen. Anselm Feuerbach hieß der Maler.«
Daniel wußte nichts von Anselm Feuerbach, empfand aber das Inhaltsvolle eines Namens, der kraft einer geheimnisvollen Magie wie eine schöne Glocke an sein Ohr schlug. »Was war es denn mit ihm?« fragte er.
Die Geschichte lautete wie folgt: Als Anselm Feuerbach vier Jahre vor seinem Tod, vor sechs Jahren also, zum letztenmal nach Nürnberg kam, um seine Mutter zu besuchen, da kränkelte er schon an Körper und Gemüt und war der Menschen satt, war von ewiger Plage und Mißkennung verstört. Aber einige Bürger erinnerten sich seines Ruhms, der in der deutschen Luft dunkel und heimatlos schwebte, und die Handelskammer bestellte bei ihm ein Bild für ihren Sitzungssaal im neuen Justizpalast. Er malte das Bild, den Kaiser Ludwig, wie er den Nürnbergern das Privilegium für freies Gewerbe erteilt. Als nun das Bild fertig war, zeigten sich die Herren sehr unzufrieden, denn sie hatten etwas ganz anderes erwartet, irgendeine öde Krelingsche Schilderei, und nicht so ein vornehmes und reines Werk. Zudem war der Raum knapp, eine Handbreit Leinwand mußte in die Mauer gelassen werden, und das Licht war ganz elend. Da machte die Kammer Schwierigkeiten mit der Bezahlung, in dem häßlichen Streit ergriff der Geometer Rüdiger, der längst schon ein leidenschaftlicher Anhänger Feuerbachs war, die Partei des Malers, und es kam so weit, daß er die Stadt mit dem Schwur verließ, nie mehr zurückzukehren. Seine Töchter aber hatten alle drei den Meister Anselm seit ihrer frühesten Jugend geliebt, wo er als Gast im Hause des Vaters geweilt hatte.
»Freilich, wenn irgendein Mann liebenswert gewesen ist, so war er es,« endete Benda die Geschichte. »Willst du ihn sehen? So komm.«
Sie befanden sich in der Nähe des Johanniskirchhofs. Das Tor war noch offen, und Daniel folgte dem voranschreitenden Benda. Der wanderte eine Weile auf den schmalen Gräberpfaden, deutete stumm auf einen flachen Stein, auf welchem der Name Albrecht Dürers zu lesen war, und dann standen sie an Feuerbachs Grab. Eine schon geschwärzte Bronzeplatte zeigte den Kopf des Malers im Profil. Ein Lorbeerkranz lag darunter, dessen halb verwelkte Blätter im sachten Wind bebten.
»Was für ein Leben hat der Mann geführt!« sagte Benda leise; »und was für einen Tod ist er gestorben! Den Tod eines hinausgejagten Hundes.«
Als sie gegen die Stadt gingen, dämmerte es. Daniel hatte den Hut vom Kopf genommen und schritt mit fernhin gerichtetem Blick an Bendas Seite. Dieser aber war aufgewühlt wie selten.
»Ein deutsches Leben, ein deutscher Tod,« stieß er hervor. »Er streckt die Hand aus, um zu geben, und es wird ihm hineingespuckt. Er gibt und gibt und gibt, und sie nehmen, nehmen, nehmen, ohne Dank, ja, mit Hohn. Sie achten nur die Vetternschaft, sie verkuppeln das Mikroskop mit dem Katechismus und die Philosophie mit der Polizei. Ohne jeden Anstand, ohne humane Übereinkunft; sie beschließen es, sie tun es. Es ist für mich kein Platz in Deutschland mehr. Ich gehe.«
»Du gehst? Wohin gehst du?« fragte Daniel treuherzig erstaunt. Benda biß sich auf die Lippen und schwieg.
Sie waren zur Füll gekommen. Als sie in Bendas Arbeitszimmer traten, brachte dieser einen mächtigen Atlas herbei, schlug die Karte von Afrika auf und deutete in die Mitte des Erdteils.
»Siehst du die großen weißen Flecken hier? Da ist weder Fluß noch Berg eingezeichnet. Es sind Gebiete, die noch keines Europäers Fuß betreten hat. Dorthin geh ich.« Er lächelte sanft.
»Wirklich? wann denn?« fragte Daniel, voll Unbehagen darüber, daß er den Freund verlieren sollte.
»Es ist noch unbestimmt, aber es wird sein. Dort habe ich zu tun. Ich brauche Luft, Erde, Himmel, das freie Tier und die freie Pflanze.«
Auf der Schwelle des Zimmers erschien Bendas Mutter, eine ziemlich große, gebrechlich gehende Frau mit scharfen Zügen und tiefliegenden Augen.
Sie schaute ihren Sohn an, sodann Daniel, zuletzt fielen ihre Blicke auf den Atlas und blieben darauf ruhen mit einem Ausdruck des Grauens und der Angst.
Daniel wußte nichts mehr zu sagen, und Benda, immer still in sich hineinlächelnd, fing von andern Dingen zu sprechen an.