Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16

Es ist Nacht geworden. Verlassen liegt der altertümliche Platz. Vom Kirchturm hat es elf Uhr geschlagen, die Lichter in den Fenstern verlöschen eins nach dem andern.

Da kommt eine Gestalt von der Laufergasse herauf, späht scheu vor sich, hinter sich und bleibt vor dem schmalen Gebäude stehen, in welchem Daniel und Gertrud wohnen. Ist es ein weibliches Geschöpf, oder nicht vielmehr ein unheimlicher Gnom? Die Gewänder schlottern nachlässig an dem plumpen Körper, ein verbogener Strohhut überdacht das verwildert aussehende Gesicht; die Schultern sind emporgezogen, die Fäuste geballt, die Augen wie verglast.

Plötzlich erschallt ein Schrei. Die Person eilt gegen die Kirche, stürzt auf die Knie und ihre Zähne beißen in ohnmächtiger Raserei in die Holzstange des Geländers. Erst nach einer geraumen Weile erhebt sie sich wieder, starrt mit verzerrten Lippen noch einmal zu den Fenstern hinauf und entfernt sich schleppenden Schrittes.

Es war Philippine Schimmelweis. Sie trieb sich bis zum Morgengrauen in den Gassen herum.


 << zurück weiter >>