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Philippine wurde Dorotheas Vertraute.
Anfangs war es nur die Lust am Schwatzen gewesen, die Dorothea zu Philippine hindrängte; später gewöhnte sie sich daran, ihr alles zu sagen. Vor ihr konnte sie sich schmucklos geben. Die regungslose Aufmerksamkeit, mit der ihr Philippine zuhörte, schmeichelte ihr und benahm ihr jeden Argwohn. Sie hielt Philippine für zu dumm und ungebildet, als daß sie sie fähig glaubte, ihr Treiben zu überschauen und zu beurteilen.
Es reizte sie, dem alten Mädchen, das so ergötzlich über die Mannsbilder zu schimpfen wußte, verführerische Bilder auszumalen. Wenn sie einen kecken Plan hatte, sprach sie mit Philippine darüber wie von etwas Geschehenem; auf diese Art prüfte sie die Möglichkeit der Ausführung und verschaffte sich einen Vorgeschmack des Genusses.
Hauptsächlich war es Philippines Häßlichkeit, die sie sorglos stimmte. Ein so häßliches Geschöpf war in ihren Augen kein Weib, kaum ein Mensch, und mit ihm konnte man alles reden, was einem durch den Kopf ging. Und da Philippine nie anders als wegwerfend und höhnisch von Daniel sprach, wurde Dorothea immer argloser.
Sie kam zu Philippine in die Küche, setzte sich auf das Bänkchen und erzählte; von einem Seidenkleid, das sie in einer Auslage gesehen hatte; von den Elogen, die ihr der Hofrat Finkeldey gemacht; von den Liebesverhältnissen dieser und der Ehescheidung einer andern Bekannten; von den Perlen der Kommerzienrätin Feistmantel, und daß sie zehn Jahre ihres Lebens dafür gäbe, wenn sie auch solche Perlen hätte. Das Auch war überhaupt ihr großes Wort. Alles in ihr zitterte und dampfte vor Begierden und Wünschen, von niederer Unruhe und trüber Lust.
Oft erzählte sie Geschichten aus ihrer Münchener Zeit. Wie sie eines Nachts, des Schabernacks halber, mit einem Maler in sein Atelier, und einmal zu einem Offizier in die Kaserne gegangen sei; was für schöne, stramme Leute ihr da die Cour geschnitten; alle hinter ihr her und sie, eh die Schafsköpfe sich besonnen, um die Ecke. Ein Kuß, das wohl; ein Kuß in der Dunkelheit; ein Arm- in Armliegen in einem Wäldchen, mehr nicht. Zur rechten Zeit Polizeistunde, das dürfe man bei solchen Sachen nicht vergessen, sonst könne es schief gehen. Zum Beispiel sei da ein schwarzer Italiener gewesen, ein richtiger Conte, der habe ihr nachgestellt wie verrückt. Einmal sei er in ihr Zimmer gestürzt und habe ihr einen Revolver vor die Stirn gehalten, da habe sie geschrien, daß das ganze Haus zusammengelaufen sei.
Als Daniel sich bemühte, ihrer Verschwendungssucht zu steuern, erhob sie bei Philippine Klagen darüber. Philippine hetzte sie auf. »Laß dir's nicht gefallen,« sagte sie, »einen Geizkragen hättest du mit deiner Visage nicht zu heiraten brauchen.«
Auch als sie wieder mit Edmund Hahn verkehrte, berichtete sie es Philippine. »Den solltest du mal sehen, Philippine,« flüsterte sie geheimnisvoll, »das ist ein wahrer Don Juan, verdreht allen Weibern die Köpfe.« Seit zwei Jahren schon sei er närrisch in sie verschossen, jetzt habe er ihr zugesagt, in einem Spielklub für sie zu spielen, einem intimen Zirkel, wo nur ganz vornehme Leute verkehrten. »Wenn ich gewinn, Philippine, schenk ich dir was Hübsches,« versprach sie.
Von da an wurden ihre Erzählungen ziemlich wirr. Sie war viel vom Hause weg, und wenn sie heimkehrte, war sie nicht selten in einem aufgelösten Zustand. Sie ließ sich von Philippine für die Nacht frisieren, und was sie sagte, war gelogen. Einmal aber gestand sie, daß sie nicht im Theater gewesen, wie Daniel annahm, sondern bei einer Frau Bäumler, einer Freundin Hahns, bei der auch gespielt wurde. Sie habe sechzig Mark gewonnen. Scheu blickte sie nach der Tür, zog ihre Börse heraus und zeigte Philippine drei Goldstücke.
Philippine mußte schwören, daß sie Dorothea nicht verraten würde. Ein paar Tage danach wurde Dorothea wieder besorgt, und Philippine mußte den Schwur erneuern. Philippine schwor mit einer Leichtigkeit und Gefälligkeit, als wünsche sie gute Mahlzeit. Im Innern erteilte sie sich während des Eides Absolution für den Meineid. Einstweilen wollte sie sammeln, sich alles merken, dem Wild auf allen Fährten folgen; zudem lag für sie eine Befriedigung finsterer Sinnentriebe darin, von Verhältnissen und Situationen zu erfahren, die ihr nie zum Erlebnis werden konnten.
Immer tiefer verstrickte sich Dorothea. Ihre Augen waren wie Irrlichter, ihr Lachen klang flüchtig und krampfhaft. Sie hatte nie Zeit, nicht für ihren Mann, nicht für ihr Kind. Bisweilen wurden ihr durch Boten Briefe gebracht, die sie gierig las und schnell zerriß. Einmal trat Philippine unerwartet ins Zimmer, da versteckte sie erschrocken eine Photographie, die sie in der Hand gehalten hatte. Als Philippine über die Heimlichkeit entrüstet war, sagte Dorothea schnippisch: »Das verstehst du nicht, Philippine, davon kann ich mit niemand sprechen.«
Aber Philippines Verdrossenheit setzte sie in Angst. Sie zeigte ihr die Photographie. Es war das Bild eines jungen Mannes, der kalt und mürrisch dreinblickte. Dorothea sagte, es sei ein Amerikaner, den sie bei der Bäumler kennen gelernt; er sei steinreich und alle seien ganz weg von ihm.
Jeden Abend wollte nun Philippine etwas vom Amerikaner wissen. »Erzähl vom Amerikaner,« drängte sie.
Eines Abends, schon spät, kam Dorothea im Nachtkleid zu Philippine in die Stube. Agnes und der kleine Gottfried schliefen. »Morgen hat der Amerikaner eine Loge im Theater, wennst mich abholst, kannst ihn sehen,« raunte sie.
»Ich halt's schon nicht mehr aus vor Neugier,« erwiderte Philippine.
Eine Weile saß Dorothea stumm, dann rief sie aus: »Wenn ich Geld hätt, Philippinchen, wenn ich nur Geld hätt!«
»Hab gemeint, der Amerikaner hat so viel,« versetzte Philippine trocken.
»Natürlich, der hat Geld wie Heu,« sagte Dorothea, und ihre Augen loderten, »aber –«
»Was, aber?«
»Denkst du denn, die Männer tun umsonst was?«
»Ach so,« machte Philippine nachdenklich, »ach so.« Sie kauerte sich auf einen Schemel zu Füßen Dorotheas. »Wie hübsch du bist, wie niedlich,« schnarrte sie mit ihrer Baßstimme; »was für zierliche Füßli du hast! Und wie glatt das Fleisch ist, Marmorstein ist nix dagegen.« Mit einer grauenhaften Lüsternheit legte sie ihre Hand um Dorotheas Bein und streichelte die Haut bis zum Knie hinauf.
Dorothea schauderte zusammen. Als sie zu der hockenden Philippine niederblickte, sah sie, daß an deren Jacke ein Knopf gerissen war; durch die Öffnung gewahrte sie zwischen den schlaffen Brüsten etwas Braunes. »Was hast du denn da am Leibe?« fragte Dorothea.
Über Philippines Gesicht schoß eine jähe Röte. »Nix für dich,« antwortete sie rauh und hielt die Jacke mit der Hand zu.
»So sag's doch, Philippinchen, sag's doch,« bettelte Dorothea, die es nicht ertrug, wenn man Geheimnisse vor ihr hatte; »ist's vielleicht dein Brautschatz? Hast dir deinen Busen als Sparkasse eingerichtet?« Sie lachte belustigt.
Philippine erhob sich. »Ja, es ist mein Geld,« bekannte sie mit Widerstreben und schaute Dorothea feindselig an.
»Sicher ist's eine ganze Masse. Gib nur acht, daß dir's keiner stiehlt. Mußt dich auf den Bauch legen beim Schlafen.«
Daniel kam von der Arbeitsstube herunter und hörte Dorotheas Lachen. Dunkler Kummer fraß an seinem Herzen, und er schritt eilig an der Tür vorüber.