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Lenores Plan bestand darin, die Schwangere zu Daniels Mutter nach Eschenbach zu bringen.
Sie wußte von dem Zerwürfnis zwischen Daniel und seiner Mutter. Sie wußte, daß die beiden sich voreinander verborgen hielten, daß Daniels Trotz einen Liebesmangel wähnte rächen zu müssen. Hinter dem Bild des hassenden und unduldsamen Sohnes sah sie das einer alten Frau, die in verschwiegener Sorge sich einsam grämt.
Schon oft hatte sie sich schmerzlichem Mitgefühl hingegeben, wenn die Gedanken mit der unbekannten Mutter des Freundes beschäftigt waren. Jetzt schien es ihr, als könne sie eine Sendbotin sein; als müsse sie die Verlassene hier zu der Verlassenen dort führen, die werdende Mutter zu jener, die zu klagen Grund hatte, daß sie es gewesen war.
Es schien ihr, als müsse sie dadurch ein Band von neuem knüpfen, welches nicht einmal durch Verbrechen, um wieviel weniger durch Unverstand und Laune zerrissen werden durfte; und es schien ihr, daß Daniel zu sühnen habe, hier wie dort; daß sie selbst, in dem Bewußtsein, das Rechte zu tun, keinen Einwand zu scheuen, keine Abrechnung zu fürchten habe.
Sie erwog auch die praktischen Umstände. Meta konnte draußen leichterdings ihr Brot verdienen, konnte der Frau behilflich sein oder bei den Bauern tagelöhnern.
Wenn dann das Kind da war, hatte Daniels Mutter junges Leben vor Augen, und ihre Sehnsucht würde sich mildern, ihre Bitterkeit geringer werden beim Anblick eines Menschen aus Daniels Blut.
Zu Hause sagte Lenore, sie wolle mit einer ehemaligen Schulkameradin einen Ausflug in die Ansbacher Gegend machen. Sie studierte den Fahrplan und schrieb an Meta eine Postkarte mit dem Geheiß, sich um acht Uhr früh am Bahnhof einzufinden.
Der Inspektor billigte Lenores Absicht; er warnte sie nur vor Strolchen und vor kaltem Trunk. Gertrud aber war nicht völlig ohne Arg. Sie witterte etwas in der Luft, ungesprochene Worte, die auf Daniel Bezug hatten, da ihre Gedanken immerfort bei ihm waren.
Kam ein Brief von ihm, was selten geschah, so ließ sie ihn stundenlang uneröffnet liegen und dichtete herrliche Offenbarungen einer Liebe hinein, für die ihr selbst jeder Ausdruck fehlte. Aber in einer Art von mondsüchtigem Entzücken machte sie eine geträumte, innere Musik daraus.
Las sie den Brief, so genügte ihr seine Schrift, auch das Papier schon, auf dem seine Hand geruht hatte. Stillschweigend ordnete sie sich dem Gesetz seiner Natur unter, das ihm nicht erlaubte, überschwenglich oder mitteilfreudig zu sein. Jeder seiner trockenen Berichte wurde für sie zum Evangelium, aber ihre Antworten waren in gleicher Trockenheit gehalten und ließen die hingeschmolzene Seele kaum ahnen.
Sie spürte, daß Lenore log und daß die Lüge mit Daniel im Zusammenhang stand. Daher trat sie in der Nacht an Lenores Bett, weckte sie auf und fragte sanft: »Ist ihm etwas geschehen, Lenore?«
Doch ehe Lenore antworten konnte, beschwichtigt allein durch die erstaunte Miene der Schwester und sich selber zürnend, daß sie Lenore, die sie jetzt mehr und mehr schätzen lernte, eine Verstellung zugetraut, entfloh sie wieder.
Wie sie ihn liebt, dachte Lenore und drückte das Gesicht lächelnd in die Kissen.