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In den Straßen Nürnbergs hingen schwarze Fahnen. Es regnete. Daniel bezog ein billiges Zimmer im Bären.
Die Dämmerung war eingebrochen, als er sich auf den Weg zu Jordans begab. Im Haustor stieß er mit Benno zusammen. Er erkannte den stutzerhaft gekleideten Menschen nicht und wollte vorübergehen. Aber Benno blieb mit lautem Lachen stehen.
»Ei, der Herr Kapellmeister!« rief er, und das blasse, trotz seiner zwanzig Jahre bereits verlebte Gesicht zeigte einen gewissen Hohn, »nur Vorsicht, mein Lieber, damit die Gertrud nicht in Ohnmacht fällt.«
Daniel fragte, ob alle gesund seien. An Gesundheit fehle es nicht, wohl aber an kleiner Münze, versetzte Benno lachend; mit dem Vater sei nicht mehr viel los, der komme auf keinen grünen Zweig mehr; na ja, das Alter, die Konkurrenz, die bösen Zeiten. Ob Lenore zu Hause sei, fragte Daniel. Nein, die sei mit der Notarin Rübsam nach Pommersfelden gefahren und wolle ein paar Wochen dort bleiben. »Nun muß ich mich aber sputen,« brach Benno das Gespräch ab, »meine Vereinsbrüder warten auf mich.«
»Potzblitz, Vereinsbrüder haben Sie auch?«
»Natürlich, das ist doch die Würze des Daseins. Heute haben wir einen geschäftsfreien Tag; Königsbegräbnis. Gott befohlen, Herr Kapellmeister.«
Daniel läutete oben, und Gertrud öffnete die Türe. Es war dunkel, jeder gewahrte nur die Umrisse des andern.
»Du bist's, Daniel,« flüsterte sie seligmatt, näherte sich ihm und lehnte das Gesicht an seine Schulter.
Daniel wunderte sich, daß seine Pulse so gleichmäßig klopften. Noch gestern hatte ihm der Gedanke an dieses Wiedersehen den Atem benommen. Nun hielt er Gertrud im Arm und wunderte sich über seine Ruhe.
In der Stube führte er sie unter die Lampe und schaute mit ernster Aufmerksamkeit lange in ihr Gesicht. Unter seinem sonderbar grausamen Blick erbleichte sie.
Dann ergriff er ihre Hand, zog sie auf das Sofa neben sich und entwickelte ihr den Plan, den er gefaßt. Sie hatte keine andern Wünsche als die seinen. Er wollte zwischen heute und vier Wochen heiraten; gut, sie würden heiraten.
Er fand die grenzenlos Ergebene wieder, die er verlassen. Ihr Auge erschütterte ihn, in dem ein schicksalsvoller Gehorsam leuchtete. Sie hatte kein feiges Bedenken. Ihre kühle Hand zuckte nicht in seiner; mit ihrer Hand lag ihre Seele, ihr ganzes Leben in seiner Hand. Er wollte Zweifel in ihr erwecken und sprach mutlos von seinen Aussichten, auch daß er wenig Hoffnung habe, mit seinen Arbeiten die Anerkennung der Welt zu erringen.
»Wozu Anerkennung?« fragte sie; »sie können doch nichts von dir wegnehmen, und was sie dir geben, ist Gewinn.«
Da schwieg er, und das Gefühl von ihrem Wert schwebte wie ein feuriges Meteor durch den Himmel seines Daseins.
Die Eröffnung, daß sie in der Stadt bleiben würden, machte sie glücklich, des Vaters wegen. Sie sagte, am Egydienplatz sei eine kleine Wohnung zu vermieten, drei Zimmer in einem stillen Haus. Sie traten ans Fenster, und Gertrud zeigte ihm das Haus. Es war näher bei der Kirche, an der Biegung des Platzes.
Der heimkehrende Inspektor bewillkommnete Daniel mit langem Händeschütteln. Er war grau geworden, ging gebückter denn früher, und sein Anzug wies Spuren der Vernachlässigung auf.
Als er erfahren, was Daniel und Gertrud beschlossen hatten, schüttelte er den Kopf. »Kinder, es ist ein Unglücksjahr,« sagte er; »eilt's euch denn gar so, wo ihr doch noch ein blutjunges Volk seid?«
»Wären wir weniger jung, so hätten wir weniger Mut dazu,« antwortete Daniel.
Der Inspektor setzte sich und stützte die Stirn auf die Hand. Nach einer Weile sagte er, vor drei Jahren habe er noch bare achttausend Mark auf der Bank liegen gehabt, aber die ungünstigen Umstände hätten ihn dann gezwungen, sich des Kapitals zur Bestreitung des täglichen Unterhalts zu bedienen und jetzt sei kaum ein Drittel mehr davon übrig. Zweitausend Mark sei alles, was er Gertrud als Mitgift geben könne, und damit müßten sich die beiden zurecht finden.
»Mehr braucht's auch nicht,« erwiderte Daniel, »hab nicht so viel zu erhoffen gewagt. Nun hab ich keine Sorgen mehr, mag kommen, was will.«
Eine Fledermaus flog durchs offene Fenster und huschte ohne Laut wieder hinaus. Der Regen hatte aufgehört; nur in den Röhren und Rinnen sickerte und plätscherte es noch. Es war etwas Banges in der Luft des Juniabends.