Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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3

Mit einem offenen Brief in der Hand schoß Dorothea eines Nachmittags in Daniels Stube, wo er arbeitete.

»Du, Daniel, die Kommerzienrätin Feistmantel fleht mich an, morgen auf ihr Kränzchen zu kommen. Darf ich?«

»Du störst mich jetzt, Liebe. Siehst du nicht, daß du mich störst?« fragte Daniel vorwurfsvoll.

»Ja, ja, verzeih, hauchte Dorothea und blickte hilflos auf den mit Notenpapier bedeckten Tisch. »Ich soll auch meine Violine mitbringen,« fuhr sie fort, »ich soll vorspielen.«

Mit gesammeltem Ausdruck schaute Daniel, ohne ihre Worte aufzufassen, ins Leere.

Dorothea wurde ungeduldig. Plötzlich trat sie zu der Stelle an der Wand, wo, seit Daniels Heimkehr, wieder die Maske der Zingarella hing. »Schon lang wollt ich dich fragen, Daniel, was das Ding da soll. Wozu hast du's, wozu brauchst du's? Es ärgert mich mit seinem ewigen Grinsen.«

Daniel wachte auf. »Das nennst du Grinsen?« fragte er kopfschüttelnd. »Ist's möglich, dies Lächeln aus der Überwelt grinst dir?«

»Ja,« erwiderte Dorothea trotzig, »es grinst. Und ich mag's nicht, mag die Fratze nicht leiden, grad' weil du sie so gern hast. Hast sie wohl lieber gar als mich?«

»Keine Kindereien, Dorothea!« sagte Daniel ruhig; »mußt deinen Sinn ein wenig höher richten, mußt mir auch meine Geister respektieren.«

Dorothea schwieg. Sie verstand ihn nicht. Sie sah ihn mit leisem Mißtrauen an. Sie dachte, die Maske sei ein Bildnis einer von seinen früheren Geliebten. Und sie verzog spöttisch die Lippen.

»Du hast eben etwas von Vorspielen erwähnt, Dorothea,« begann Daniel wieder; »weißt du, daß ich dich noch nie spielen gehört habe? Ich gesteh dir aufrichtig, daß ich bisher Furcht davor gehabt. Nur das vortreffliche ertrüg ich; auch die Verheißung; beides könnte ja sein, und doch, woher kommt mir die Angst? Du hast lange nicht geübt, nicht ein einziges Mal, seit wir beisammen leben; trotzdem willst du dich vor Fremden produzieren? Das ist wunderlich, Dorothea. Sei doch so gut und hol deine Geige und spiel mir vor.«

Dorothea ging ins Nebenzimmer, brachte den Geigenkasten, bestrich den Bogen mit Kolophonium, und während sie die Saite stimmte, fragte sie mit emporgezogenen Brauen: »Willst du's wirklich?«

Sie preßte die Lippen aufeinander und spielte eine Etüde von Fiorillo. Als sie fertig war und Daniel nichts verlauten ließ, setzte sie das Instrument wieder an und spielte ein ziemlich lamentables Stück von Wieniawski.

Wieder schwieg Daniel lange. »Recht hübsch, Dorothea,« sagte er endlich; »das ist unter Umständen ein ganz netter Zeitvertreib für dich.«

»Wie meinst du das?« erwiderte Dorothea hastig, und eine dunkle Röte stieg in ihre Wangen.

»Soll es mehr sein, Dorothea?«

»Wie meinst du das?« wiederholte sie verlegen und unwillig, »ich denke schon, daß es mehr ist.«

Daniel stand auf, trat zu ihr hin, nahm ihr den Bogen sanft aus der Hand, ergriff ihn an beiden Enden und zerbrach ihn in zwei Teile.

Dorothea stieß einen bestürzten Schrei aus und sah ihn fassungslos an.

Tiefernst sagte Daniel: »Ist die Musik, die ich höre, nicht ein Niedagewesenes, so ist sie ein hunderttausendmal Dagewesenes. Für ein leidlich wohlklingendes Dilettieren muß sich mein Weib für zu gut halten.«

Dorotheas Augen füllten sich mit Tränen. Abermals fehlte ihr das Verständnis, und nun so völlig, daß sie sich einbildete, Daniel sei mit Absicht grausam gegen sie.

Ihr war das Geigenspiel ein Mittel gewesen, um zu gefallen, sich selbst zu gefallen, der Welt zu gefallen, ein Mittel, sich zu steigern, andere zur Bewunderung zu zwingen und zu blenden. Nur deshalb hatte sie sich der strengen Zucht ihres Vaters von früh an gefügt. Sie besaß auch Ehrgeiz, doch verdingte sie sich jedem Lob, ohne des Lobers zu achten, und was eine Übereinkunft von unbekannter Entstehung an Gefühl forderte, wähnte sie zu geben, indem sie beim Spielen an ihre persönlichen Wünsche, Freuden und Vergnügungen dachte.

Daniel umarmte sie und küßte sie. Sie riß sich los und stellte sich trotzig ans Fenster. »Hättest es ja nur sagen müssen, daß ich dir zu schlecht spiele,« stieß sie hervor und schluchzte zornig auf, »hättest nicht gleich so roh den Bogen zerbrechen müssen. Ich spiel ja nimmer. Wär mir gar nicht in den Sinn gekommen, dich zu belästigen.« Und sie weinte wie ein verzogenes Kind.

Daniel ließ sich's viele Worte kosten, sie zu beschwichtigen. Schließlich sah er ein, daß keine Worte fruchteten, und seufzend schwieg er still. Nach einer Weile nahm er ihr das Taschentüchlein aus der Hand, trocknete lächelnd ihre Tränen und sagte: »Ich hätte ja lieber gewollt, daß du nicht zur Kommerzienrätin aufs Kränzchen gehst. Denn siehst du, ich halte nicht viel von einem solchen Verkehr. Er bereichert nicht und zieht allerlei Gelüstchen groß. Aber weil ich dir so weh getan hab, magst du ruhig hingehen, vielleicht vergißt du dann den Schmerz, du Närrchen.«

»Dank dir schön, ich verzichte,« antwortete Dorothea schnippisch und ging aus dem Zimmer.


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