Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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Erinnerung an eine Traumgestalt

1

Es war an einem Abend, als Daniel zu Benda ging, um Abschied zu nehmen für lange Zeit.

Wie er in das Tor treten wollte, sah er den Hund des Herrn Carovius mit gefletschten Zähnen dastehen, und die blutunterlaufenen Augen der Dogge waren auf ein etwa zehnjähriges Mädchen geheftet, welches ebenfalls ins Haus wollte, aber aus Furcht vor dem Hund keinen Schritt zu tun wagte. Das Tier hatte seine Kette hinter sich hergeschleift und knurrte unheildrohend.

Entschlossen nahm Daniel das Kind bei der Hand und führte es ein paar Schritte abseits, nachdem er die Dogge durch einen Zuruf eingeschüchtert hatte. »Wer bist du?« fragte er das Mädchen.

»Dorothea Döderlein,« war die Antwort.

»Ei,« machte Daniel und mußte plötzlich lachen, denn das Mädchen hatte eine possierliche Altklugheit im Ton. Aber es war ein sehr hübsches Kind. Aus der dunklen Kapuze schaute ein schlau lächelndes Gesichtchen, und der Sammetmantel mit großen Perlmutterknöpfen umhüllte eine zierliche Gestalt.

»Du gehörst schon lange ins Bett, Dorothea,« sagte Daniel; »wenn der Nachtwächter kommt, was soll er von dir denken? Der packt dich beim Schlafittchen und sperrt dich ins Gefängnis.«

Dorothea belehrte ihn über die Ursache ihrer abendlichen Vereinsamung. Sie war bei einer Schulfreundin gewesen, und die Magd, die sie abgeholt, hatte vor dem Hinaufgehen noch einen Laib Brot aus der Bäckerei mitnehmen wollen. Nun schilderte sie ihr Zusammentreffen mit dem Hund so kokett überlegen, daß sich Daniel über den Gegensatz zwischen dieser Aufschneiderei und der Schlotterangst, in der er sie angetroffen, höchlichst ergötzte.

»Du bist eine kleine Schwindlerin, Dorothea,« sagte Daniel und erinnerte sich wieder der bösen Empfindung, die sie in ihm erregt, als er sie vor Jahren zum erstenmal gesehen.

Indessen kam die Magd mit dem Brotlaib daher, blickte verwundert auf das schwatzende Paar und bemächtigte sich des Kindes mit schuldbewußter Eile. Den Hund Cäsar trieb sie mit gellenden Schreien vom Haustor weg, und als er über die Straße lief, blickte Dorothea mit triumphierender Miene zu Daniel zurück, als hätte sie ihm nun bewiesen, daß sie keine Furcht vor dem Hund hegte.


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