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Eines Tages schrieb die Hofrätin Kirschner an Daniel und ließ ihn wissen, daß sie nichts mehr mit ihm zu schaffen haben wolle. Zugleich forderte sie das Geld zurück, das sie ihm geliehen hatte, und er konnte es nicht aufbringen. Im Theater stand er bereits in Vorschuß; einen Freund besaß er nicht; Monsieur Rivière, der einzige, der vielleicht hätte helfen können, war nach Frankreich abgereist.
Die Sache lief den üblichen Weg; ein Advokat stellte eine Frist; als die verstrichen war, wurde der gerichtliche Zahlungsbefehl ausgefertigt, dann kam der Gerichtsvollzieher, und in Ermangelung anderer Gegenstände von Wert pfändete er den Flügel.
Der Einspruch Daniels hatte keine aufhaltende Rechtskraft. Noch ein paar Tage, und das Klavier mußte versteigert werden.
Es war ein trüber Januarmorgen, da trat Philippine in seine Kammer.
»Du, Daniel,« begann sie, »willst Geld von mir haben?«
Daniel drehte langsam den Kopf und musterte sie erstaunt.
»Hab Geld genug,« fuhr sie mit heiserer Stimme fort, und ihre Augen glitzerten gläsern unter den Simpelfransen, »hab's pfennigweis zusammengescharrt von kleinauf, Jahr um Jahr; kann dir geben, was d'für die Hofrätin brauchst. Schmeiß es ihr hin, der alten Hadltruth. Sag zu mir: bitt dich, Philippine, gib mir das Geld, und es liegt auf'm Tisch.«
»Du bist wohl närrisch?« erwiderte Daniel, dem das Mädchen auf einmal unheimlich wurde, »mach, daß du hinauskommst.«
Da packte Philippine, außer sich vor Wut, seine Hand, und ehe er es hindern konnte, biß sie ihn unterhalb des kleinen Fingers ziemlich tief ins Fleisch. Mit einem dumpfen Schrei schüttelte Daniel sie ab und stieß sie zurück. Sie sah ihn frohlockend an, doch ihr Gesicht war gelb geworden.
»Geh zu, Daniel,« sagte sie bettelnd, »sei nit so garstig mit mir. Alleweil so garstig, alleweil so neidisch, geh zu.«
Dies infame Lächeln, und die Haare über den Augen, und die roten, plumpen Hände, und die Schneeflocken auf dem zu kurzen Mantel, und unten der Saum des knallroten Kleids, und auf dem Hut das giftgrüne Band; Daniel verspürte ein Grausen wie beim Anblick des häßlichsten und verderblichsten Bildes, das ihm aus der Menschenwelt entgegentreten konnte. Aber indem er die Augen abwandte, kam Mitleid über ihn, als ahne er plötzlich, daß dieses Wesen an ihn gekettet war durch Bande, die erst in allen Finsternissen unterirdischer Labyrinthe liefen, bevor sie zu ihm gelangten. Was sie getan, hatte ihn in Bestürzung versetzt, doch als Offenbarung einer Natur überraschte es ihn zugleich und gab ihm zu denken.
Er ging zum Waschtisch, um die blutende Hand ins Wasser zu tauchen. Philippine nahm ein frisches Schnupftuch aus der Kommode und reichte es ihm zum Verbinden. Er sah sie durchdringend an und sagte: »Was bist denn du für eine? Was steckt denn für ein Teufel in dir? Nimm dich in acht, du Jasonphilippstochter, nimm dich in acht.«
Da aus diesen Worten ein Ton von Güte klang, vibrierte es seltsam in Philippines Gesicht. Ihre Züge waren wie zum Grinsen verzerrt; aber es war dennoch kein Grinsen. Nach einer kurzen Weile zog sie eine lederne Börse aus ihrer Manteltasche und brachte zwei in ein Papier gewickelte Hundertmarkscheine sowie ein Goldstück hervor. Sie entfaltete die Scheine und das Papier, legte erstere samt dem Goldstück auf den Tisch und reichte Daniel das beschriebene Blatt.
Er las: Ich unterzeichneter Daniel Nothafft bin der Philippine Schimmelweis zweihundertundzwanzig Mark schuldig und werde ihr das Geld vom heutigen Tage an mit fünf Prozent verzinsen.
»Damit zahlst den Gerichtsvollzieher und bist aus der Schlemassel,« redete Philippine eigentümlich dringend auf ihn ein. »Kannst doch nit auf'm Nudelholz Klavier spielen, ist ja dein Handwerkszeug, der Klapperkasten. Unterschreib und du hast Ruh.«
»Woher ist das Geld?« fragte Daniel. »Wie kommst du zu so viel Geld? Sprich die Wahrheit!« Und er hörte auf einmal Thereses Stimme: das viele schöne Geld, das viele schöne Geld . . .
Philippine biß an ihren Nägeln. »Das geht dich nix an,« erwiderte sie grob, »gestohlen is es nit. Übrigens kann ich dir's ja sagen,« fuhr sie eilig fort, als sie sein Mißtrauen bedrohlich werden fühlte, »die Mutter hat mir's zugesteckt. Damit ich nit ganz armselig dasteh, wenn was passiert. Denn der Vater, der möcht mich am liebsten verrecken lassen. Heimlich hat sie's beiseite geschafft, und ich hab ihr beim Kruzifix schwören müssen, daß niemand was erfährt.«
Diese Schauergeschichte veranlaßte Daniel zu bedenklichem Kopfschütteln. Er spürte die Lüge, aber von Philippines Blick und Wort ging eine sonderbare Gewalt aus. Er war unschlüssig, er überlegte. Seine Arbeit stand auf dem Spiel. Wochen konnten verfließen, Monate, ehe er wieder zu einem Instrument gelangte. Philippines Dienstwilligkeit war ihm rätselhaft, alles was sie sagte, war abstoßend und gemein, aber sie brachte Hilfe, und dem gegenüber mußte er die warnenden Stimmen ersticken.
Ist ja nur Geld, dachte er verächtlich und setzte sich hin, um seinen Namen auf den Zettel zu schreiben.
Philippine zog die Schultern hoch hinauf und wagte nicht zu atmen, bis er ihr den Zettel wortlos überreichte. Dann blickte sie ihn flehend an und sagte: »So Daniel, jetzt darfst mich aber nimmer wie eine räudige Katz behandeln.«