Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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3

Im Lauf dreier Tage hatte die Freifrau fünf Unterredungen mit ihrem Gatten. Er schlug ihre Bitte, die Verhältnisse des Sohnes zu regeln, jedesmal rundweg ab, und wenn sie immer dringender flehte, verstummte er.

Bei dem letzten Versuch, den sie machte, hörten die Dienstleute sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit reden. Als sie dann das Zimmer des Freiherrn verließ, gab sie, vor Erregung am ganzen Körper bebend, den Auftrag, daß man ihre Koffer packe und den Wagen anspannen lasse.

Eine Stunde später fuhr sie in Begleitung ihrer Zofe auf das sechzehn Kilometer entfernte Gut Siegmundshof. Sie fand dort jedoch keine Ruhe, ging bei Tage, dumpf vor sich hinjammernd, durch die Zimmer und lag des nachts schlaflos. Am vierten Tag kehrte sie in die Stadt zurück, ließ den Wagen bis vor das Haus des Grafen Urlich fahren und schickte den Kutscher hinauf, um die Gräfin zu holen. Emilie kam und fragte erschrocken nach dem Begehren der Mutter. Die Freifrau wünschte, daß ihre Tochter sie zu Herrn Carovius begleite, dessen Wohnung sie aus dem Adreßbuch erfahren hatte.

Herr Carovius hatte umsonst auf die Nachricht gewartet, die ihm die Freifrau versprochen. Der Ärger übermannte ihn, er beschloß, ein Exempel zu statuieren und betrat das Auffenbergsche Haus wie die strafende Gerechtigkeit in Person. Als ihm gesagt wurde, daß er nicht vorgelassen werden könne, begann er wieder Skandal zu machen, die ganze Dienerschaft lief herzu, schließlich kam sogar ein Polizist, der ihn zur Rede stellte, der Portier drängte ihn aus dem Torgang, und er stand in dem Menschenauflauf vor dem Haus mit bloßem Kopf und fuchtelnden Armen, ein Bild der Wut.

Alsbald bekamen die stillen Hintermänner Wind von seinen vergeblichen Versuchen, die Bezahlung der Schuld zu erlangen. Sie wurden besorgt, rannten Herrn Carovius die Türen ein und betrauten schließlich einen Advokaten mit der Führung des Prozesses. Herr Carovius hatte mittlerweile durch einen Späher Kunde erhalten, daß es zwischen dem Freiherrn und der Freifrau zum Bruch gekommen, daß die Freifrau bei Nacht und Nebel geflohen sei und unter den Dienstleuten und Freunden des Hauses große Bestürzung herrsche.

Ein wollüstiges Leuchten huschte über sein Gesicht. Niederlage und Verzweiflung; Heulen und Zähneklappern; Besseres konnte er sich nicht wünschen. Er erschien sich als der Vertilger der gesamten Aristokratie, und wenn es schon ein beglückendes Grauen ist, das zerstört zu sehen, was man verachtet, um wie viel mehr erst, was man liebt und bewundert.

In dieser Stimmung trafen ihn die Freifrau und ihre Tochter. Der Anblick der beiden Damen beraubte ihn der Sprache. Er vergaß, zu grüßen, er dachte nicht daran, sie ins Zimmer zu bitten.

Die Freifrau wollte wissen, wo sich Eberhard befand. Sie war entschlossen, zu ihm zu reisen. Als ihr Herr Carovius stotternd mitteilte, der junge Freiherr wohne kaum dreihundert Schritte von hier, fing sie an zu zittern und lehnte sich kraftlos an die Mauer. Darauf war sie nicht gefaßt gewesen. Sie hatte sich immer vorgestellt, Eberhard weile an einem geheimnisvollen Ort in geheimnisvoller Ferne.

Herr Carovius machte sich sogleich anheischig, die Damen hinzuführen, aber die Freifrau erklärte plötzlich, sie fühle sich nicht fähig, es werde vielleicht ihr Tod sein. »Bring mich zu dir nach Hause,« flehte sie ihre Tochter an, »und sprich erst mit Eberhard.«

Jedoch Emilie hatte ihren Bruder in den neun Jahren ihrer Ehe nicht gesehen und fürchtete sich vor der Begegnung noch mehr als ihre Mutter. Die Freifrau in ihre Wohnung zu bringen, daran war ganz und gar nicht zu denken; die alte Dame hatte offenbar vergessen, daß sie dem Grafen Urlich vor mehreren Jahren, als es bekannt geworden war, daß er die Bonne seines Kindes geschwängert, in den stärksten Ausdrücken ihr Haus verboten hatte.

Da sich die Freifrau beharrlich weigerte, in ihre Stadtwohnung zurückzukehren und ebensowenig Lust bezeigte, wieder nach Siegmundshof zu fahren, blieb Emilie nichts anderes übrig, als sie in ein Hotel zu führen. Herr Carovius, der den zwei Damen auf die Straße gefolgt war und ihr klägliches Gebaren mit innigem Genuß verfolgt hatte, schlug den Bayrischen Hof vor. Er setzte sich auf den Bock, gab dem Kutscher mit leutseliger Miene Anweisung und blickte triumphierend auf die Fußgänger hinunter.

Gräfin Emilie, die sich keinen Rat mehr wußte, sandte eine Depesche an ihre Tante Agathe. Am nächsten Mittag kam Frau von Erfft mit ihrer Tochter Sylvia. »Clotilde ist wie von Sinnen,« sagte sie zu Emilie, nachdem sie eine Stunde lang im Zimmer der Schwester gewesen war; »ich gehe jetzt zu deinem Vater, ich muß einmal mit Siegmund reden.«

Der Freiherr empfing seine Schwägerin nicht eben freundlich, trotzdem er gerade vor ihr immer große Achtung gehabt hatte.

Frau von Erfft vermied es klüglich, über die Familienverhältnisse zu sprechen. Sie erzählte von Sylvia, daß die nun Siebenundzwanzigjährige alle Heiratsvorschläge gleichmütig abgewiesen habe und daß sie und ihr Mann darüber in Sorge seien.

»Sie will sich nicht begnügen,« sagte Frau Agathe, »sie sucht in der Ehe eine Mission und fürchtet nichts so sehr wie den Verlust ihrer Freiheit. So sind unsere Kinder, lieber Siegmund, und wenn wir sie anders zur Welt gebracht hätten, wären sie anders. Zu unserer Zeit war Gehorsam das Ideal, jetzt haben sie die Pflicht gegen sich selbst entdeckt.«

»Dann sollen sie nur sich selber helfen,« antwortete der Freiherr, der die Anspielung verstand, mit finsterem Blick.

Aus den wirren Reden ihrer Schwester hatte Agathe doch entnommen, was zwischen den Eheleuten vorgefallen war. Sie kannte die schmerzliche Vergangenheit, und als sie nun in das Gesicht des Mannes schaute, erriet sie, was hier nötig war. Sie faßte den Entschluß, Eberhard zu seinem Vater zu führen.

Vor allem wollte sie Clotilde beruhigen und zur Rückkehr in ihre Häuslichkeit veranlassen. Die Aufgabe war bei der Schwäche und Haltlosigkeit der Freifrau nicht schwer. Sylvia blieb bei ihrer Tante, und ihre stille Festigkeit übte einen wohltuenden Einfluß auf sie aus. Agathe hatte sich unterdessen Eberhards Adresse verschafft. Nach einigem Suchen fand sie das Haus; Eberhard war daheim.


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