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Indessen hatte Daniel seiner Frau gesagt, daß ein Kind von ihm bei der Mutter in Eschenbach lebte und daß er dies erst an dem Tage erfahren, als ihn Lenore hingeführt. Er sagte ihr den Namen des Kindes und wie alt es sei und wer die Mutter war und schilderte ihr jene wildgärende Neujahrsnacht, in der er die Magd umarmt. Er erzählte, wie er damals vor dem Haus drunten gestanden sei, Gertrud mit allen Sinnen zu sich gewünscht habe, und wie es ihm jetzt beim Anblick der kleinen Eva zumut gewesen, als ob die Vorsehung sich nur zum Schein des Leibes einer Fremden bedient habe und das Kind in Wirklichkeit Gertruds Kind sei.
Darauf antwortete Gertrud: »Ich will das Kind nie sehen.«
»Wenn du Eva einmal kennst, wirst du dich dieses Wortes schämen,« versetzte Daniel. »Du solltest nicht eifersüchtig sein auf ein Wesen, durch das Gott die Erde hat schöner machen wollen.«
»Sprich nicht von Gott!« sagte Gertrud rasch und mit erhobener Hand. Dann, nach einer Pause, während der Daniel sie unwillig betrachtet hatte, fügte sie schmerzlich lächelnd hinzu: »Ich eifersüchtig? O nein, Daniel.«
Die Art, wie sie die Hände auf die Brust preßte, überzeugte Daniel sehr nachdrücklich davon, daß sie ein solches Gefühl nicht kannte. Er schwieg, blieb aber lange bei ihr in der Stube sitzen. Als sie den Brotlaib anschnitt, fiel ihr das Messer herunter; er sprang schnell hin und hob es auf. Niemals früher hatte er dies getan. Gertrud schaute auf ihn nieder, indes er sich bückte. Ihr Auge erlosch, flammte auf, erlosch wieder.
Sprich nicht von Gott! Diese Worte wollten Daniel nicht aus dem Sinn.
Wie nun Lenore zurückkam, erschrak sie bei Daniels Anblick. Er war verstört, seine Lider waren entzündet, als habe auch er die Nächte schlaflos verbracht, er konnte kaum sprechen, und endlich forderte er einen Schwur von ihr, daß sie nicht mehr weggehen werde.
Sie weigerte sich sanft, zu schwören, aber er wurde immer wilder und wilder, da schwor sie es ihm zu. Und als er sie ungestüm in seine Arme schloß, ging die Tür auf und Gertrud stand auf der Schwelle. Daniel eilte hin und wollte sie bei der Hand fassen, doch sie wich Schritt um Schritt zurück, bis sie an ihrer Schlafkammertür angelangt war.
Es war Abend, und vier Gedecke befanden sich auf dem Tisch in der Wohnstube, denn auch der Inspektor sollte unten essen. Er kam pünktlich, Lenore trug die Speisen herein, aber Gertrud ließ sich nicht blicken. Da ging Lenore zu ihr. Sie saß an der Wiege und kämmte mit Bedächtigkeit ihre Haare.
»Willst du nicht mit uns essen, Gertrud?« fragte Lenore.
Gertrud schien nicht gehört zu haben. Nach etlichen Minuten erhob sie sich, schritt an die Wand, wo der Spiegel hing, drückte mit beiden flachen Händen das Haar an beide Wangen, und so, mit weitgeöffneten Augen, schaute sie in den Spiegel.
»Komm doch, Gertrud,« rief Lenore zaghaft, »Daniel wartet schon.«
»Daß man da drinnen noch einmal da ist,« murmelte Gertrud, »es ist wie Sünde.« Sie drehte sich um und winkte Lenore zu sich her.
Gehorsam trat Lenore an ihre Seite. Gertrud schlang den Arm um Lenores Nacken, bis deren linke Schläfe ihre eigene rechte berührte und nur Gertruds Haar wie ein Vorhang zwischen den Gesichtern lag. Gertrud schaute wieder in den Spiegel, ihr Blick wurde starr, und sie sagte: »Ja, du bist schöner, du bist viel schöner, du bist hundertmal schöner.«
Da regte sich das Kind, und weil Gertrud noch immer wie versunken stand, schritt Lenore zur Wiege. Kaum hatte aber Gertrud dies bemerkt, als sie hinstürzte und mit einer befremdlichen Rauhheit ausrief: »Rühr's nicht an! Rühr's nicht an!« Sie riß das Kind aus der Wiege, trug es mit fliegender Eile bis an ihr Bett und sagte leise und drohend: »Es gehört mir, mir ganz allein.«
Seit dieser Stunde wußte Lenore, daß eine furchtbare Veränderung mit Gertrud vor sich ging.
Sie wußte nicht, ob andere Leute es bemerkten, ja, nicht einmal, ob Daniel dessen inne wurde, aber sie sah es, und mit Bangigkeit.
An einem Nachmittag, zur Dämmerungszeit, kam sie dazu, wie Gertrud im Vorplatz kniete und mit der Bürste den Fußboden rieb.
»Das solltest du nicht tun, Gertrud, du bist noch nicht gesund genug, es schadet dir, wenn du so grobe Arbeiten verrichtest,« sagte Lenore.
Gertrud gab keine Antwort und rieb weiter.
»Warum ziehst du dich nicht mehr hübsch an?« fuhr Lenore betrübt fort. »Daniel mag's nicht, wenn du so herumschlampst, immer in dem häßlichen Kittel, glaub mir, er ärgert sich darüber.«
Gertrud richtete sich auf den Knien empor und entgegnete mit sonderbarer Demut: »Schmück du dich nur. Es ist nicht gut, wenn zwei sich schmücken. Was soll ich tun?« fragte sie und ließ den Kopf sinken; »du trägst dein goldnes Kettlein und die Korallen in den Ohren. Das gefällt mir, und es soll auch so sein. Aber ich hab kein goldnes Kettlein und keine Korallen, und hätte ich sie auch, ich trüg sie nicht, und trüg ich sie auch, so wär's von Übel.«
»Ach, Gertrud, wie redest du denn!« klagte Lenore.
Da tönten plötzlich die Kirchenglocken in den Flur. Mit einer strengen Feierlichkeit faltete Gertrud die Hände zum Gebet, und es war, als sei sie in ihrer knienden Stellung versteinert.
Schweren Herzens ging Lenore in die Stube.