Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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3

Benjamin Dorn hatte ein mitleidiges Gemüt, und die Begierde, eine verlorene Seele zu retten, verlieh ihm den Mut, Daniel Nothafft einen Besuch abzustatten. Er humpelte mit seinem Klumpfuß die krachende Stiege hinauf und klopfte schüchtern an die Tür.

»Kann ich Ihnen, mein Herr, vielleicht in christlicher Weise mit etwas dienen?« fragte er, nachdem er sich geschneuzt hatte.

Daniel starrte ihn verwundert an.

»Ich könnte Ihnen, mein Herr, natürlich ganz uneigennützig, in christlicher Weise, zu einer Anstellung verhelfen. Bei der Prudentia gibt es mancherlei zu arbeiten. Ich würde sicher keine Fehlbitte bei Herrn Zittel tun. Herr Zittel ist Bureauchef, mein Herr. Auch beim Herrn Generalagenten Diruf stehe ich in Gunst. Und mit Herrn Inspektor Jordan verkehre ich fast täglich. Herr Inspektor Jordan ist ein äußerst gebildeter Mann. Seine Tochter Gertrud ist von mir in christlicher Weise erleuchtet worden. Sie hat Anteil an der Gnade erlangt, mein Herr. Wenn Sie sich mir anvertrauen wollen, betreten Sie einen heilsamen Weg. Ich bin immer bemüht. Ohne unbescheiden zu sein, darf ich sagen, daß ich mit der Bemühung geboren bin.«

Er sah aus wie ein Flickwerk aus Übelkeit, Trübsal und Gottgefälligkeit, und sein Rockkragen war zerfranst.

»Lassen Sie's nur gut sein,« entgegnete Daniel, »Sie sehen ja, es geht mir ganz erträglich.«

Der fromme Versicherungsschreiber seufzte und wischte mit dem Handrücken ein Tröpfchen von seiner Nase. »Beherzigen Sie, mein Herr, das Wort Salomonis: Hochmut erniedrigt den Menschen, wer aber demütig ist im Geiste, erlangt Ehre.«

»Ich will's beherzigen,« sagte Daniel trocken und beugte sich wieder über das Notenblatt, an dem er schrieb.

Benjamin Dorn seufzte abermals und humpelte wieder hinaus. Zu Frau Hadebusch sagte er, mit dem Daumen emporweisend: »Mutter Hadebusch, ich kann nicht anders, ich muß mir in christlicher Weise das Herz erleichtern, – denken Sie sich –«

»Jesus Maria, was tut er? Was treibt er?« keuchte die Alte, ihren Besen unter die Achsel schiebend.

»Der Tisch ist voller Papier, und das Papier ist mit lauter Geheimzeichen bedeckt, so wahr ich hier stehe.«

Da schickte Frau Hadebusch, in Angst vor der Schwarzkunst des Mansardenbewohners, ihren Gatten zum Revierkommissär. Dieser aufgeklärte Beamte hieß den Bürstenmacher einen alten Schwätzer. Aus Verdruß hierüber begab sich der Bürstenmacher ins Gasthaus zum Roß und betrank sich und mußte, es war eine schöne Mondnacht, von Benjamin Dorn heimgeführt werden.


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