Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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5

Von einer Unterrichtsstunde nach Hause gehend, begegnete er eines Nachmittags Lenore Jordan. Er erzählte ihr von seiner neuen Wohnung und von den drei sonderbaren Wesen in dem Haus in der langen Zeile.

Lenore hatte von ihnen gehört. Sie sagte, es seien die Töchter des Geometers Rüdiger, der vor Jahr und Tag die Stadt verlassen habe, weil er einen Streit mit den Bürgern oder nur mit einer Gilde gehabt. Das Bild eines Malers sei der Anlaß gewesen, mehr wisse sie nicht, nur daß der Geometer dann bei einem Bergsturz in der Schweiz ums Leben gekommen sei. Die Schwestern aber seien Spottfiguren in der Stadt und zeigten sich außerhalb des Hauses fast nur, wenn sie an bestimmten Tagen auf den nahgelegenen Johanniskirchhof gingen, um das Grab jenes Malers zu schmücken.

Daniel hörte kaum zu. Sie standen bei der Sebalderkirche, und die Glocken fingen an zu läuten. »Prachtvoll,« murmelte er, »aufsteigender Dreiklang in A.«

Lenore erkundigte sich, wie es Daniel gehe und blickte in sein eingefallenes Gesicht mit Bedauern. Ihr starker, blauer Blick war ihm unbehaglich, und er wunderte sich, daß sie die Lider so selten senkte. Er sagte, es gehe ihm gut, und sie lächelte.

»Schauderhaft, daß man so ein Untier im Leibe hat, das immer gefüttert werden will,« sagte er. »Sonst könnte man ja durch alle Himmel stürmen und den Engeln ihre Gesänge ablauschen. Es soll nicht sein. Erst müssen sich die Flügel wund flattern, bis die Kette reißt, am Ende haben sie dann die Ätherkraft nicht mehr.«

Er zog sein Gesicht zusammen, daß es den bösen Affenausdruck bekam. »Aber ich will's auskosten,« schloß er. »Will sehen, ob mich der Herrgott als Niete oder als Treffer aus dem Kasten seiner Lose zieht.« Er konnte sehr beredt sein, wenn er von sich selber sprach.

Lenore lächelte. Man mußte ein wenig Ordnung in sein Leben bringen, das war alles, was ihr nötig schien. Sie nahm sich vor, nachzusehen, wie er sich in seinem Zimmer eingerichtet hatte.

In der Tetzelstraße trafen sie den Inspektor. Als Jordan an der Seite der geliebten Tochter ging, wollte es ihm scheinen, als seien die grauen Mauern und verwitterten Steine der Häuser nicht mehr so erdenhaft und zeitenschwer. Lenore blickte aber wunderlich versunken in den Westen, wo purpurrot die Sonne unterging. In manchen Stunden regte sich's in ihr wie Heimweh nach einem schöneren Land.

Sie dachte an Italien, und ihr Geist träumte die Bilder sonniger Meeresbuchten, blühender Haine und weißer Statuen.

Daniel ging indessen gegen die Füll. Arbeiter kamen von der Vorstadt her, und in ihren müden Gesichtern wollte er seine Welt erkennen. Ach, seufzte es in ihm, ich möchte näher zu den Sternen, möchte verläßlichere Herzen kennen als auch meines ist.

Da leuchtete von Bendas Wohnung herab Bendas Fenster im Lampenlicht, und er schämte sich.


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