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Häufig geschah es, daß Daniel gar nicht antwortete, wenn man eine Frage an ihn richtete. Sein Ohr verlor die Worte, sein Auge die Bilder, die Zeichen, die Gesichter, die Gebärden. Er war sich selbst im Wege, sich selbst eine Qual.
Dahin trieb es ihn, dorthin; heim trieb es ihn und wieder fort. Flüchtig gewahrte er, daß Menschen über ihn lächelten, spürte, daß sie hinter ihm die Achseln zuckten. In den Mienen seiner Schüler las er Spott; die Mägde im Haus kicherten, wenn er vorüberging.
Was konnten sie wissen? was verhehlen? Vielleicht war seinem Innersten nicht unbekannt, was sie wußten und verhehlten, aber er wollte es nicht in den Bereich der benennbaren Dinge treten lassen.
Als ob ein unsichtbarer Ohrenbläser ihm nicht von der Seite wiche, wuchs eine stille Verzweiflung. Was hast du getan, Daniel, schrie es in ihm, was hast du getan! Die schwesterlich umschlungenen Schatten standen auf.
Das Gefühl eines nicht wieder gut zu machenden Irrtums, einmal zur Gewißheit geworden, brannte wie Feuer. Das Werk, so nah der Vollendung, starb ihm plötzlich ab.
Um des Werkes willen zwang er sich in den Nächten zur Ruhe, gab zaghafter Hoffnung Raum, lullte sein ahnungsvolles Gemüt ein.
Der Blick, mit dem ihn Philippine betrachtete, peinigte ihn am ärgsten.
Seit der Geburt des Kindes wohnte er in Lenores Kammer. Der alte Jordan war die Rücksicht selbst und ging in seiner Stube auf Strümpfen, um ihn nicht zu stören.
Eines Nachts ging Daniel hinunter und trat mit der Kerze in der Hand an Dorotheas Bett. Sie erwachte, stieß einen Schrei aus, schaute verstört, dann erkannte sie ihn und war ungehalten; schließlich lachte sie spöttisch und sinnlich.
Er setzte sich an den Rand des Bettes und nahm ihre rechte Hand zwischen seine beiden. Doch es war ihm auf einmal so eigen unbehaglich, ihre Hand zu spüren, und er sah die Finger an. Sie waren ohne Feinheit in der Form, an den Spitzen dicker als in der Mitte; sie konnten nicht ruhig liegen, beständig zuckten sie.
»Es geht so nicht weiter, Dorothea,« sprach er liebreich, »du zerstörst deine und meine Existenz. Was sollen die vielen Menschen um dich? Ist denn dein Vergnügen an ihnen so groß, daß es dein Gewissen übertäubt? Ich weiß nicht, was du treibst. Sag mir doch, was du treibst. Die Wirtschaft verkommt, es ist keine Ordnung mehr. Wie's da draußen im Wohnzimmer nach Zigarrenrauch riecht! Ich hab die Fenster aufgemacht. Und dein Kind; es entbehrt die Mutter. Schau dir doch sein Gesichtchen an, wie kränklich und gelb es ist.«
»Och, da kann ich nichts dafür, die Philippine tut ihm Mohn in die Milch, damit es länger schläft,« antwortete Dorothea nach der Art schuldiger Weiber, aus vielen Vorwürfen einen herauszugreifen, der ihnen ungerecht dünkt. Aber diese Antwort brachte Daniel zum Verstummen.
»Ich bin so müd und schläfrig,« klagte Dorothea und schielte wieder mit dem spöttischen und sinnlichen Ausdruck nach ihm. Da er regungslos blieb, gähnte sie laut und fuhr ärgerlich fort: »Was weckst du einen denn mitten in der Nacht, wenn du bloß schimpfen willst? Geh doch hinaus, du ekelhafter Mensch!«
Sie kehrte ihm den Rücken und stützte den Kopf auf die Hand. Dem Bett gegenüber hing ein goldgerahmter Spiegel. Sie erblickte ihr Bild darin, sie gefiel sich in ihrer beleidigten Haltung und begann zu lächeln.
Daniel, der so hart und grausam gegen edle, nun zu Schatten gewordene Wesen hatte sein können, sah, wie sie sich verliebt anlächelte, im Spiegel, und fühlte Erbarmen mit dieser kindlichen Eitelkeit.
»Es gibt ein chinesisches Märchen von einer Prinzessin,« sagte er und beugte sich über Dorothea, »die bekam von ihrer Mutter als Brautgabe eine Garnitur von Schachteln. In jeder Schachtel war ein kostbares Geschenk, nur die letzte, innerste, kleinste Schachtel war zugesperrt, und die Prinzessin mußte versprechen, sie niemals zu öffnen. Eine Weile hielt sie das Versprechen, aber die Neugier quälte sie immer heftiger, sie vergaß ihr Gelöbnis und machte die letzte, kleine Schachtel mit Gewalt auf. Da war ein Spiegel drinnen, und als sie nun ihr Bild erblickte und sah, wie schön sie war, fing sie an, ihren Gatten schlecht zu behandeln, und quälte ihn so, daß er sie eines Tages tötete.«
Erschrocken starrte ihn Dorothea an. Dann lachte sie und erwiderte: »Och, wie dumm! Solche Schauergeschichte.« Sie legte die Wange auf das Kissen und blinzelte wieder in den Spiegel.
Am andern Morgen erhielt Daniel einen anonymen Brief folgenden Inhalts: »Haben Sie acht auf Ihre Frau, denn Sie erweisen dadurch Ihrer Ehre einen Dienst. Ein Gutgesinnter.« Er zerriß den Brief und warf die Fetzen in den Ofen.
Ein kaltes Fieber schüttelte ihn. Ein paar Tage lang schleppte er sich wie mit vergiftetem Körper herum, allen im Hause wich er aus; eines Nachts wieder trieb es ihn neuerdings zu Dorothea. Als er in ihr Schlafzimmer treten wollte, fand er die Türe zugeriegelt. Er klopfte und bekam keine Antwort. Er klopfte stärker, da rührte es sich in den Kissen drinnen. »Laß mich schlafen!« rief Dorothea zornig.
»Mach auf, Dorothea!« bat er.
»Nein, ich mach nicht auf, ich will schlafen,« schallte es heraus.
Noch drei oder viermal drückte er auf die Klinke, drei- oder viermal flehte er, daß sie ihn einlassen möge, aber sie gab keine Antwort. Da wollte er nicht weiter lärmen, stand noch eine Weile und schaute vor sich hin wie in ein schwarzes Loch und kehrte dann in seine Dachkammer zurück.