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Im Haus der Frau Hadebusch hatten die Polizisten Daniel und den Amerikaner endlich voneinander gerissen. Daniel fiel auf einen Stuhl und starrte stupid vor sich hin. Frau Hadebusch brachte Wasser herbei, der Amerikaner kleidete sich unter dem Gelächter der Zuschauer an.
Danach wurden die beiden Männer auf die Wache geführt, und der Kommissär schrieb auf, was er für die spätere Amtshandlung wissen mußte. Daniel gewahrte eine Gaslampe, einen Federstiel, mehrere grinsende Gesichter, seine eigene blutige Hand, sonst nichts. Der Amerikaner wurde zur Verhütung weiterer Feindseligkeiten noch zurückbehalten, indes man Daniel gehen hieß. Er hörte, daß der junge Mensch in seinem radebrechenden Deutsch und mit wuterstickter Stimme allerlei erzählte, aber er nahm es nicht in sich auf.
Er hörte einen Hund bellen, einen Wagen rasseln, eine Glocke schlagen, er hörte sprechen, murmeln, rufen und das Scharren von Füßen, aber es klang alles wie durch die Mauern eines Gefängnisses. Taumelnd setzte er seinen Weg fort.
Als er zur Frauenkirche kam, wandte er sich rechts gegen den Obstmarkt und sah plötzlich das Gänsemännchen vor sich.
»Geh heim,« schien das Männchen zu sagen, und seine Stimme war traurig, »geh heim!«
Wer bist du und was willst du von mir? fragte es in Daniel. Aber da war es, als ob die Figur unsichtbar würde und erst in der Ferne wieder, in einem lichten Glanz, wahrzunehmen sei.
Über den Egydienplatz rannten Leute, und einzelne schrien: »Feuer!« Daniel bog um die Ecke und konnte sein Haus sehen. Hinter den Fenstern seiner Stube loderten Flammen. Er preßte die Hände gegen die Schläfen und drängte sich mit angstvoll geweiteten Augen durch die Menge bis ans Haus. »Um Gottes, Himmelswillen,« stieß er hervor, »rettet mir die Truhe!«
Viele sahen ihn an. Eine Gestalt zeigte sich oben am Fenster, viele Arme deuteten hinauf. »Das Weibsbild! schaut das Weibsbild!« wurde gerufen; und dann wieder: »die hat gezündelt! die hat das Feuer gelegt!«
Daniel stürzte ins Haus. Feuerwehrmänner überholten ihn. Da sah er im Flur, in der Beleuchtung von hastig hin und her getragenen Laternen, notdürftig und in Eile aufgebahrt, die Leiche des alten Jordan; die Leiche und neben ihr, wie überirdischen Hohn, die Puppe, die Älplerin mit der Maschine im Bauch. Dumpf seufzend fiel er nieder, und seine Stirn berührte die tote Hand des Greises.
Wie im Schlaf vernahm er das Zischen aus den Wasserschläuchen, die Kommandos, das geschäftige Vorbeirennen der Männer, dann war es ihm, als tauche ein Schatten flüchtig auf, eine Gestalt wie aus der Unterwelt; eine geballte Faust öffnete sich und warf zerknitterte Blätter vor ihn hin, und wie er emporblickte, sah er nur die rings um ihn sich drängenden Menschen, die Gestalt hatte sich zwischen ihnen hindurchgeschoben, und niemand hatte in der Verwirrung ihrer geachtet.
Mit abwesender Gebärde griff Daniel nach dem Blatt, das ihm zunächst lag. Es war auf das Gesicht der Puppe gefallen. Er entknitterte es und gewahrte die von seiner Hand geschriebenen Noten aus der »Harzreise im Winter«. Und unter den Notenzeilen standen die Worte:
Aber abseits, wer ist's? Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen das Gras steht wieder auf, Die Öder verschlingt ihn. |
Melodie und Rhythmus, die über den Worten sich spannten, waren von grandioser Düsterkeit, gleich einem Gesang verfolgter Schatten in der Nacht, überm Meer. Daniel erinnerte sich der Stunde, in der er dies geschaffen, erinnerte sich an Gertruds Blick und Antlitz, als er es ihr vorgespielt; und Lenore stand da, in einem weißen Gewand, mit einem Myrtenkranz im Haar, und die Töne dröselten das Gewebe der unendlichen Zeit auf. Aber abseits, wer ist's? klagte es tief und schwer, fragte es prophetisch groß; da verhüllte er sein Gesicht und schluchzte, daß ihm zumut war, als breche sein Herz auseinander.
Der tote alte Mann und die Puppe lagen gleich still da.
Nach einer halben Stunde war das Feuer gelöscht. Die beiden Stuben unterm Dach waren völlig ausgebrannt, sonst war kein Schaden geschehen.
Philippine war spurlos verschwunden. Da niemand bemerkt hatte, daß sie das Haus verlassen, glaubte man zuerst, sie sei in den Flammen umgekommen. Doch als man nachforschte, erwies sich diese Annahme als irrig. Die Polizei fahndete überall nach ihr, es war ganz vergebens, sie war nicht aufzufinden. Einige Leute, die sie näher gekannt hatten, verfochten unerschütterlich die Meinung, sie sei mit Haut und Haar verbrannt, und nichts weiter sei von ihr übriggeblieben als ein Häuflein schwarzen Aschenstaubes.
Wie dem auch sein mochte, Philippine kehrte nicht mehr ins Haus zurück, und nie wieder hörte und sah man etwas von ihr.