Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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3

Daniel war seiner Mansarde und der Bürstenmacherin Hadebusch überdrüssig geworden und kündigte das Logis. Frau Hadebusch, in einer Duftwolke von gesottenem Kraut stehend, zeterte über die Undankbarkeit der Welt. Ihr Geschrei lockte Herrn Francke und den Methodisten aus ihren warmen Löchern, auch der Bürstenmacher und der idiotische Sohn traten auf den spärlich beleuchteten Vorplatz, und Daniel stand wie ein armer Sünder vor den fünf Hogarthschen Gestalten.

Er suchte in der Marienvorstadt, aber da war alles zu teuer, dann vorm Neuen Tor, da fand er nichts, dann in Sankt Johannis, da gefiel es ihm am besten. Am späten Nachmittag kam er an ein Haus in der langen Zeile, und am Gartentor hing ein Vermietungszettel.

Er läutete an einem schmiedeeisernen Glockenzug, und ein hübsches Dienstmädchen führte ihn in ein Zimmer. Durch das Fenster konnte er in einen Garten mit alten Bäumen blicken. Ein ältliches Fräulein kam und lächelte über sein Wohlgefallen an dem Zimmer.

»Ich muß erst mit meiner Schwester sprechen,« flüsterte sie auf seine Frage nach dem Preis.

Sie rief in den Flur, da kam die Schwester, ein ebenso ältliches und ebenso freundliches Fräulein. Sie hielten flüsternd Rat und erklärten dann, sie müßten Albertine fragen. Albertine war die dritte Schwester, und die erste trippelte zur Türe und rief mit gespitzten Lippen den Namen so geziert in den langen Flur wie den der zweiten, die Jasmine hieß.

Albertine war die jüngste von den Dreien, etwa vierzig Jahre alt. Doch sie hatte vergessen, und auch Jasmine und Salome hatten es vergessen, zwanzig vom Kalender zu streichen; sie zeigten sich alle drei noch in der ersten jugendlichen Anmut.

Errötend betrachtete Albertine den jungen Mann, und ihre Schamhaftigkeit bewirkte, daß die zwei Schwestern gleichfalls erröteten. Sie sagte zu Daniel, sie seien die Schwestern Rüdiger. Darauf schwieg sie und schaute zu Boden, als ob sie damit ihr ganzes Schicksal verraten hätte. Dann sagte sie, sie hätten sich entschlossen, das Zimmer einem vertrauenswürdigen Herrn zu überlassen, weil kürzlich in der Nachbarschaft verschiedentliche Diebstähle vorgekommen seien und sie außer dem Gärtnerburschen noch die schützende Gegenwart eines Mannes wünschten. Sie hatten schon einige Leute abgewiesen, deren Gesicht und Benehmen ihnen mißfielen, denn ohne sich vorher zu verständigen, waren sie stets und über alles der gleichen Meinung.

Nun fragte Fräulein Salome, welchen Beruf der junge Herr ausübe. Daniel erwiderte, er sei Musiker. Ein Ach der Überraschung tönte ihm aus den drei Kehlen entgegen. Ob er ein Sänger sei oder ein Geiger? fragte Fräulein Jasmine. Keines von beiden, er sei Komponist, oder wolle es wenigstens werden.

Da vergeistigten sich die Blicke der drei Damen, und sie sahen einander so ähnlich wie Drillinge. Ein schaffender Künstler also? Ja, wenn sie es so ausdrücken wollten, ein schaffender Künstler, versetzte Daniel trocken.

Sie trippelten in die Ecke wie die Spatzen und hielten nun Rat zu dreien. Fräulein Salome, zur Sprecherin erkoren, wollte wissen, ob ein monatlicher Zins von zwölf Mark eine zu hohe Forderung sei. Nein, die Forderung sei nicht zu hoch, antwortete Daniel, ohne sich zu besinnen, und drückte den drei Schwestern die Hände. Fräulein Jasmine fügte hinzu, daß es dem Herrn freistehe, sich des Klaviers zu bedienen, welches im Erdgeschoß untergebracht sei und nur gestimmt werden müsse. Daniel drückte ihr noch einmal und mit besonderer Wärme die Hand. Aus Freude war er täppisch zutraulich geworden.

Ehe er das Haus verließ, stellte er sich im Garten unter einen Baum. Endlich wieder ein Baum für mich, dachte er. In der Krone sang eine frühe Amsel. Das Dienstmädchen Meta schaute vom Tor aus, wo sie wartete, erstaunt herüber.

Fräulein Albertine sagte zu ihren Schwestern: »Er sieht interessant aus, aber er hat schlechte Manieren.«

»Seine Kleider sind schmutzig, man muß sie reinigen,« sagte Fräulein Salome.

»Künstler legen kein Gewicht auf Äußerlichkeiten,« erklärte Fräulein Jasmine sinnend.

»Ein großer Irrtum,« widersprach Fräulein Salome gedankenvoll; »Er war stets wie aus dem Ei geschält. Erinnert ihr euch?«

Die beiden andern nickten. Hierauf wandelten sie Arm in Arm über die Gartenwege.


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