Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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Drei Abende in der Woche waren der Oper gewidmet, die andern Abende gehörten dem Schauspiel.

Der erste Kapellmeister war ein Herr in mittleren Jahren mit einem Lockenkopf, der das Entzücken der Backfischwelt bildete. Er war faul und ungebildet und hieß Lebrecht.

Der Direktor war ein alter Praktikus, der vom Publikum sprach wie ein respektloser Lakai von seinem Herrn. Für die Vorschläge Daniels zur Hebung des Repertoires hatte er meistens nur ein Achselzucken. Die Afrikanerin, Robert der Teufel, der Bettelstudent, Fra Diavolo, das ungefähr waren die Werke, auf deren Zugkraft er Vertrauen setzte. Sänger und Orchester waren nicht viel besser als bei der Wanderoper und die Möglichkeit, zu erziehen und anzufeuern, war noch viel geringer. Eingewurzelte Rechte und Überlieferungen der Trägheit widerstanden jeder Neuerung.

Findet man ängstliche Philister und arbeitsscheue Brotsitzer dort, wo die Kunst ihre Stimme erheben soll, so gibt es keinen Aufschwung mehr, sondern nur noch bürgerliche Pflichten. Da welkt die Blüte, da verkümmert der Traum, da muß der freigeborene Geist gegen alle Dämonen der Kleinlichkeit und Mittelmäßigkeit in Waffen stehen, oder er wird niedergeschlagen.

»Leichtverdauliche Kost, mein Lieber, das ist die Hauptsache,« sagte der Direktor.

»Was legen Sie sich so ins Zeug? Die guten Leutchen haben ja doch keinen Dunst,« sagte Herr Lebrecht.

»Seit neun Jahren sing ich an dieser Stelle Fis und werde mir nicht von einem hergelaufenen Musikanten befehlen lassen, auf einmal F zu singen,« sagte Fräulein Varini, die Primadonna, deren ungeheurer Busen für die Augen der Galerie und des Parketts ein Gegenstand des Genusses war.

»Ein Streber,« sagte der erste Geiger.

»Ein Hitzkopf,« sagte das Jüngelchen, das die Pauke schlug, nachdem es bei einem falschen Einsatz von Daniel mit einer Maulschelle bedroht worden war.

Die Freifrau hatte ihm für einen Zyklus von sechzehn Liedern einen Leipziger Verleger gewonnen, der die Kompositionen auf ihre Kosten stechen ließ. Das gab die rechte Freude nicht. Es war nichts Errungenes und Bezwungenes. War ihm doch, als schenke er selbst damit; und wurde nun beschenkt; und sollte am Ende gar noch danken. Die Freifrau liebte Dank. Sie ahnte kaum, daß er nicht Wohltäter suchte, sondern Ergriffene. Die Reichen spüren die Armen nicht; die Oberen spüren die Unteren nicht.

Die Reizbarkeit seines Wesens bewahrte ihn. In der herrlichen Angst um die Sendung, die das Zeichen und der Fluch der Gesandten ist, schloß er sich aus von einer Welt, von der er Brot haben wollte; nur Brot und sonst nichts.

Als die Lieder erschienen waren, stand im »Phönix« eine Kritik, die für die Ohren der Unsachlichen sachlich klang, in Wirklichkeit aber nicht viel anderes war als ein heimtückischer Mord. Das Elaborat war mit dem Buchstaben W unterzeichnet. Wurzelmann, das Knechtlein, schoß aus dem Hinterhalt.

Andere Fachzeitungen druckten das Urteil nach. Ein halbes Dutzend Personen kaufte die Lieder, dann wurden sie vergessen.

Es war nichts zu hoffen. Nur Brot mußte beschafft werden, nur Brot.


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