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Die Wohnung von Daniel und Gertrud hatte drei Zimmer. Zwei lagen gegen die Straße und eines, das Schlafzimmer, lag gegen den düstern Hof.
Mit geringen Mitteln, aber mit Lust und Fleiß hatte Gertrud alles getan, um die Räume zu schmücken. Obgleich die Decken niedrig waren und die alten Mauern massig wuchteten, boten die Stuben einen freundlichen Anblick.
In Daniels Arbeitszimmer war der Stutzflügel das beherrschende Möbelstück. Fuchsienstöcke auf dem Sims gaben der Kargheit einen idyllischen Rahmen. Die Mutter hatte ihm das Ölporträt seines Vaters zum Geschenk gemacht; von seinem Platz über dem Sofa schaute das ernste Antlitz Gottfried Nothaffts auf den Sohn, und es schien, als wende er bisweilen den Blick fragend zur Totenmaske der Zingarella, die ihm gegenüber ihr unendliches Geisterlächeln an den Schatten des Raumes verlor.
Gertrud mußte alle häuslichen Arbeiten selbst machen, denn eine Magd konnten sie nicht halten. Sie hatte aber auch in den Jahren von Daniels Abwesenheit das Notenschreiben erlernt. Der Provisor Seelenfromm, der beim Apotheker Pflaum bedienstet war, hatte sie darin unterrichtet. Er war ein Vetter der Notarin Rübsam, und sie hatte seine Bekanntschaft durch Lenore gemacht. In seinen Mußestunden komponierte er kleine Walzer und Militärmärsche und widmete sie den Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses. Auch Gertrud widmete er eine Komposition, betitelt Feenzauber, eine Gavotte.
Als Daniel von ihrer Fertigkeit erfuhr, schlug er vor Erstaunen die Hände zusammen. Das seltsame Wesen sah in einem Glücksrausch zu ihm empor. »Ich will dir helfen,« sagte sie, und sie schrieb seine Notenschriften ins Reine.
Auf der Straße gehend, schloß sie bisweilen die Augen. Eine Tonfolge zog an ihr vorüber, deren eigentümliche Sprache sie erst in diesem Augenblick verstand. Während sie mit einem Marktweib um den Preis des Gemüses handelte, war ihr Inneres voll Gesang.
Bestimmte Töne und Tonverbindungen traten figürlich vor ihr Auge. So zum Beispiel glich das zweigestrichene B des Basses einer schwarzverschleierten Frau; das E der Mittellage einem Jüngling, der die Arme dehnte. In den Akkorden, Harmonien und harmonischen Verwandlungen wurden diese Gestalten von einer Bewegung erfaßt, die sich nach dem Charakter der Komposition richtete. Ein Zug trauernder Gestalten zwischen Wolken und Sternen; wilde Tiere, die von berittenen Jägern gehetzt werden; Mädchen, welche Blumen aus den Fenstern eines Palastes werfen; Männer und Frauen, die verzweiflungsvoll umschlungen in einen Abgrund stürzen; Weinende und Lachende, Ringer und Ballspieler, Tanzpaare und Traubenpflücker. Die Fermate erschien ihr als ein Mensch, der nackt aus einem Schachte steigt, eine brennende Fackel in der Faust; der Triller als ein Vogel, der ängstlich um sein Nest flattert.
In Daniels Schöpfungen ging ihr alles nah, waren alle Bilder farbig, alle Gestalten wie voll Blut. Blieben sie tot und fern, so stockte ihr Mitgefühl, ja ihr Gesicht wurde leer und müde, und ohne daß sie ein Wort miteinander gesprochen hatten, wußte Daniel, daß er irre gegangen war. Dieses aber schmiedete ihn wie mit Ketten an das junge Weib, das von Gott eingesetzt schien als sein lebendiges Gewissen und als unfehlbare, wenn auch stumme Richterin.
Er haßte sie, wenn ihr Gefühl schwieg; hatte er sich dann nach tiefer Einkehr überzeugt, daß ihr Gefühl im Rechte war, dann hätte er die unbekannte Macht anbeten mögen, die ihm so unerbittlich seine Wege wies.
Der Kantor Spindler hatte eine schöne Harfe besessen, die hatte er in seinem Testament Daniel vermacht. Die Harfe war damals in Ansbach bei der alten Wirtschafterin des Kantors geblieben, erst nach seiner Heirat hatte sich Daniel des Geschenkes wieder erinnert und die Harfe wurde ihm zugeschickt.
Sie stand in der Wohnstube, Gertrud hatte sie von Anfang an gern betrachtet. Die Harfe lockte sie und einmal setzte sie sich hin und suchte Töne auf den Saiten. Ganz leise strich sie mit den Fingern über die Saiten und war vom Wohlklang entzückt. Allmählich fand sie das Gesetz; eine angeborene Gabe machte ihr das Instrument untertan und sie vermochte auf ihm auszudrücken, was in stillen und einsamen Stunden sehnsüchtig in ihr drängte.
Sie spielte meist sehr leise, suchte keine gebundene Melodie, weil sich das Wesen der Harfe am schönsten in träumerischen Harmonien offenbarte. Die Töne zogen in den Flur und auf die Stiege und empfingen Daniel, wenn er das alte Haus betrat.
Kam er in die Stube, so saß Gertrud im Winkel beim Ofen, hatte die Harfe zwischen den Knien und lächelte geheimnisvoll in sich hinein, während ihre Hände gleich fremd von ihr losgelösten Wesen Akkorde suchten, Klänge, die seine eigenen waren und die sie in ihre Traumwelt übertragen wollte.