Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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2

Sie gingen nun häufig um die Dämmerstunde vor die Stadt und auf die Burg. Als Gertrud sah, daß Daniel und Lenore wieder gut miteinander waren, freute sie sich.

Als sie einmal auf die Burg gingen, erzählte Lenore, daß sie oben von Eberhard von Auffenberg Abschied genommen. Sie wußte noch jedes seiner Worte, und was sie selbst gesagt bekannte sie offen. Die Geschichte mit dem alten Kräuterweib entlockte Daniel keinen Spott. Er blieb stehen und sagte: »Menschenkind, geistere du nicht; vergreif dich nicht an deiner schönen Wirklichkeit.«

»Sprich nicht so,« erwiderte Lenore, »ich mag's nicht, wenn mich dein Blick, wie eben jetzt, zum Frauenzimmer macht.«

Sie gingen in die Sebalderkirche und entzückten sich an den erzgegossenen Figürchen des Sebaldergrabs. Auch ins Germanische Museum gingen sie, verirrten sich gern in den zahllosen öden Gängen, standen still vor den alten Bildern, wurden nicht müde, die alten Spielwaren, die alten Globen, die alten Küchen, die alten Rüstungen zu beschauen.

Lenores größtes Vergnügen war aber, in den engen Gassen zu wandern; von einem Tor in den Hof zu spähen, wo eine verwitterte Statue stand; vor dem Schaufenster eines Althändlers zu verweilen und Brokatstoffe, silberne Ketten, Ringe mit bunten Steinen, gravierte Zinnteller und seltene Uhren zu betrachten. Da fiel ihr allerlei Schalkhaftes ein, und um jeden Wunsch dichtete sie ein kleines Märchen. Der dürftigste Anlaß genügte, und ihr Geist flog in ein Wunderland, als ob die Fabeln und Legenden, die das Volk seit Jahrhunderten von Herdfeuer zu Herdfeuer getragen, in ihm ein bewahrtes Leben führten.

Der Schneider, der mit untergeschlagenen Beinen auf dem Tisch hockte; der Schmied, der auf das glühende Eisen hämmerte; der Gaukler, der mit dressierten Affen durch die Stadt zog; der jüdische Hausierer, der Schlotfeger, der einbeinige Veteran, ein verschlumptes Weib, das aus einem Kellerloch lugte, ein Spinnengewebe im Mauerwinkel, an all das knüpfte sie bestimmte Vorstellungen von gruseliger oder lustiger Art. Was sie anschaute, war immer wie zum erstenmal angeschaut. Die Dinge und Menschen, von denen sie sprach, schienen einen Augenblick früher noch nicht vorhanden gewesen. Darum war sie niemals mißgelaunt, nie gelangweilt, nie faul und matt.

Aber irgend etwas war Daniel rätselhaft an ihr. Er wußte nur nicht, was. Reichte sie ihm die Hand, so dünkte es ihm, als gäbe sie nur zum Schein die Hand. Forderte er im Gespräch ihren Blick, so schlug sie wohl das Auge zu ihm empor, doch war es, als zerspalte sich ihr Blick und fließe rechts und links an ihm vorbei. Schritt sie ihm gleich so nah, daß ihre Arme sich berührten, so hatte er doch das Gefühl, als könne er sie nicht fassen, wenn er wollte.

Er kämpfte gegen die Verlockung, die darin lag.

Ihre Gegenwart adelte seinen Ehrgeiz und verscheuchte seine Grillen. Sie schenkte ihm die schöngestaltete Wolke, den Baum, der sich mit jungem Laub schmückte, den Mond, der sich über die Dächer erhob, die ganze Erde schenkte sie ihm, über die er friedlos hastete.

Er hatte kein Arg. Er ahnte nichts vom Schicksal. Und Lenore hatte keine Scheu vor ihm und fürchtete ebenfalls keine Gefahr.


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