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Allein geblieben, schaute Dorothea eine Weile regungslos vor sich nieder, dann nahm sie Geige und Bogen aus dem Kasten, – sie hatte einen neuen Bogen an Stelle des zerbrochenen längst gekauft –, und fing an zu spielen. Eine Kadenz, einen Triller, Takte einer Tanzmelodie. Ihre Züge bekamen einen harten und entschlossenen Ausdruck.
Bald ließ sie das Instrument sinken und dachte angestrengt nach. Sie legte die Geige weg, schlüpfte aus ihren Pantoffeln, schlich in Strümpfen aus der Stube, über den Flur und lauschte an Philippines Kammer. Als sie vorsichtig öffnete, vernahm sie von Philippines Bett her, das der Tür am nächsten stand, ein breites Schnarchen.
Das Ölflämmchen, das in einem Glas ersterbend flackerte, gab so wenig Licht, daß die Linnen des Bettes nur undeutlich schimmerten.
Lautlos, Schritt vor Schritt, ging sie zu Philippines Lagerstatt. Sie duckte sich, streckte den Arm aus, tastete mit der Hand über den Leib der Schläferin, wollte die Decke heben und nach der Brust greifen; da hörte Philippine plötzlich auf, zu schnarchen, erwachte so jäh, als hätte sie der Strahl einer Blendlaterne getroffen, schlug die Augen empor und schaute Dorothea stumm drohend an. Keine Muskel veränderte sich in ihrem Gesicht.
Dorothea faßte sich schnell. Wie eine, der ein ausgelassener Scherz gelungen ist, warf sie sich mit ihrem ganzen Körper über Philippine und legte die Wange auf deren Gesicht, obgleich ihr vor dem Bett- und Atemgeruch ekelte.
»Du, Philippine, der Amerikaner will dir was schenken,« wisperte sie.
»Gottich, du drückst ei'm ja den Bauch ein,« erwiderte Philippine und schnappte nach Luft. Als sich Dorothea aufgerichtet hatte, fragte sie: »Hat er denn dir schon was geschenkt? Das ist doch die Hauptsache.«
»Na, die Straußenfedern, ist das nichts?« versetzte Dorothea; »und einen Rubinschmuck will er mir auch verehren.«
»Ich wollt, du hättest's schon. Scheint mir nicht von Gebersdorf zu sein, der Amerikaner. Hab mir sagen lassen, daß er gar nicht so reich ist. Wann triffst ihn denn wieder, deinen Liebsten?«
»Morgen abend, zwischen sechs und sieben. Ich freu mich, ich freu mich. Er ist so jung, Philippinchen.«
»Ja, jung; das ist schon was, jung!« murmelte Philippine geringschätzig.
»Er hat ein so hübsches Muttermal am Hals, ganz unten am Hals, da,« sie zeigte die Stelle an Philippines Hals; »grad da. Kitzelt's dich? kitzelt's dich?«
»Lach nicht so laut, du weckst mir den Gottfriedl auf,« sagte Philippine unwirsch; »und jetzt marsch mit dir, mich schläfert.«
»Also gut Nacht, du Schlafratz,« spottete Dorothea und verließ die Kammer.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, so fuhr Philippine wie ein Dämon aus dem Bett, ballte die Faust und zischte: »Diebshure! Stehlen hat sie wollen, die Diebshure, stehlen! Wart nur du, du hast bald ausgeschnattert dahier, dir wird das Handwerk gelegt.«
Sie zog ihren roten Unterrock über die Beine, schnürte ihn fest und ging zur Tür, um den Riegel vorzuschieben. Er war seit langem schadhaft und trotzte ihrer Bemühung. Da trug sie einen Stuhl hin, setzte sich, verschränkte die Arme und blieb so über eine Stunde mit böse blickenden Augen sitzen.
Als sie sich dann des Schlafes nicht mehr erwehren konnte, schob sie den Wickeltisch vor die Tür und stieg unter gehässigem Gemurmel wieder in ihr Bett.