Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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Jason Philipp Schimmelweis verließ das düstere Kellerloch am Kornmarkt, mietete einen Laden an der Museumsbrücke und eröffnete eine Buchhandlung. Das Ziel jahrelanger Wünsche war erreicht.

Es wurde ein Gehilfe aufgenommen, und Therese saß den Tag über an der Ladenkasse und lernte Geschäftsbücher zu führen.

Als sie ihren Mann gefragt hatte, woher er das Betriebskapital genommen, hatte er erwidert, ein Freund, der zu seiner Tüchtigkeit Vertrauen geschöpft, habe es ihm gegen mäßige Verzinsung geliehen. Den Namen des Freundes zu verschweigen, sei ihm zur Pflicht gemacht worden.

Therese glaubte ihm nicht. Ihr Geist war voll dunkler Befürchtungen. Sie grübelte unablässig und wurde wachsam und mißtrauisch. Sie forschte insgeheim nach dem namenlosen Helfer und fand keine Spur von ihm. Wenn sie hin und wieder Jason Philipp zur Rede stellte, schnauzte er sie böse an. Von einer Zurückerstattung des Geldes und von Zinsenzahlung wurde nicht gesprochen, auch wiesen die Geschäftsbücher keine Eintragung der Art auf. Sie hätte an Wichtelmännchen glauben müssen, um sich ihrer die Jahre überdauernden Besorgnisse entschlagen zu können. Aber sie glaubte nicht an Wichtelmännchen.

Die Natur hatte sie weder mit Fröhlichkeit noch mit Sanftmut begabt; unter dem Druck des unlösbaren Rätsels wurde sie eine verdrossene Gattin und eine launenhafte Mutter.

Wenn Ruhe im Laden war, nahm sie bald dies, bald jenes Buch zur Hand und las. Einen Mörderroman etwa; oder einen schwatzhaften Traktat über geheime Laster. Womit sollte ein Publikum angelockt werden, dem das Bücherkaufen als eine sündhafte Verschwendung galt? Sie las ohne sonderliche Lust, nur mit einer mürrischen Art von Wißbegierde Enthüllungen über das Leben an Fürstenhöfen und gedruckte Verrätereien aller möglichen Spione, Abenteurer und Halunken. Unbewußt gewöhnte sie sich daran, die Welt, in die ihr Blick nicht gelangen konnte, nach Büchern zu beurteilen, in denen sich die Ausgeburten verpesteter Gehirne Wahrheit anmaßten.

Aber als sich mit den Jahren der Wohlstand im Bürgertum hob, verließ Jason Philipp Schimmelweis die lichtscheue Sphäre seines Gewerbes. Er war ein Mann, der die Zeit verstand, und er hißte die Segel, wenn er sicher war, daß günstiger Wind sie schwellen würde. Er vertraute sein Boot der immer mächtiger werdenden Strömung der proletarischen Parteien an und hoffte dort Profit zu machen, wo halb und halb sein Herz war. Er zeigte dem Bürger die Rebellenstirn und bot dem Arbeiter die biedere Rechte. Man mußte nur einen Weg nach oben finden. Mancher unbedeutende Krämer konnte jetzt seine muffigen Stuben mit einer Villa in der Vorstadt vertauschen, die er mit pomphaften Möbeln ausstattete, und seine Söhne ins Ausland schicken.

Da erwachte auch die alte Reichsstadt aus ihrem romantischen Schlummer. Hatten die erhabenen Kirchen, die schöngeschwungenen Brücken und verwinkelten Häuser ehedem ein sinnreich Lebendiges gebildet, so waren sie jetzt nur noch Überbleibsel, und Burg und Wälle und die gewaltigen Rundtürme wurden zu Ruinen einer glücklich überstandenen Zeit der Träume. Schienen wurden durch die Straßen gelegt und verrostete Ketten, an denen unförmliche Laternen aufgehängt waren, vom Eingang enger Gäßchen entfernt. Fabriken und Schlote umgaben das ehrwürdige und pittoreske Weichbild wie ein eiserner Rahmen das Gemälde eines alten Meisters.

»Der moderne Mensch muß Luft und Licht haben,« sagte Jason Philipp Schimmelweis und klimperte mit dem Geld in seiner Hosentasche.


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