Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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7

Oft geschah es, daß während Jason Philipps Abwesenheit ärmlich gekleidete Menschen in den Laden kamen und von Therese das Geld zurück verlangten, das sie für die Versicherung gezahlt hatten.

Einige gebärdeten sich erregt, als sie von Therese abgewiesen wurden und sie ihnen sagte, es sei ihres Mannes Angelegenheit, sie befasse sich mit seinen Agenturgeschäften nicht. Ein Schlossergeselle hatte den Kommis Zwanziger, der herbeigeeilt war, um die Prinzipalin zu beschützen, mit der Faust traktiert; ein Goldschläger aus Fürth hatte dermaßen gelärmt, daß die Polizei geholt werden mußte; eine Faßbinderswitwe, die unter großen Entbehrungen ein Jahr die Prämien gezahlt und die Weiterzahlung nur verabsäumt hatte, weil sie im Spital gelegen war, stürzte in epileptischen Krämpfen zu Boden.

Es kam so weit, daß Therese vor jedem unbekannten Gesicht erschrak. Sie atmete auf, wenn ein Tag vergangen war, ohne sonderliches Übel gebracht zu haben, doch zitterte sie dann schon vor dem nächsten.

Was sie mehr als alles beunruhigte, war das unerklärliche Verschwinden kleiner Geldbeträge, das sie seit einiger Zeit bemerkte. Einmal war ein Mann in den Laden gekommen und hatte seine Monatsrate für ein Lieferungswerk, einen Taler, auf den Zahltisch gelegt. Der Mann ging fort, sie schloß hinter ihm die Tür, weil sie einen Blick auf die Straße werfen wollte, wo eben ein starkes Schneegestöber herrschte. Als sie an das Pult zurückkehrte, war der Taler verschwunden. Sie fragte, wo der Taler sei; Jason Philipp, der dem Kommis Zwanziger Bücher auf die Leiter reichte, wurde so grob, als ob sie ihn bezichtigt hätte. Sie zählte in der Kasse nach, zählte und rechnete; umsonst; der Taler war verschwunden

Sie hatte vergessen oder nicht beachtet, daß Philippine im Laden gewesen war, ihrem Vater das Vesperbrot gebracht hatte und in ihren Filzschuhen unhörbar wieder hinausgegangen war.

Ein andermal fehlten ihr Nickelmünzen aus ihrem Börschen. Ein drittes Mal forderte ein Spezereiwarenhändler eine Schuld von drei Mark, die sie längst bezahlt zu haben sicher war. Sie war sicher, daß sie das Geld Philippine gegeben hatte, damit sie es zahlen solle. Und sie rief Philippine herbei. Die aber leugnete mit solcher Stirn, daß Therese irre wurde und schweigend das Geld hergab.

Sie hatte die Magd beargwöhnt, sie hatte den Kommis beargwöhnt; sie hatte selbst Jason Philipp beargwöhnt, daß er auf Schleichwegen sich einiges Wirtshausgeld verschaffen wollte, und sie hatte Philippine beargwöhnt. Aber sie fand keine Beweise, und ihr unablässiges Spähen und Forschen fruchtete nicht. Dann hörten die Diebstähle wieder auf.

Denn Philippine, welche die Diebin war, fürchtete sich vor der Entdeckung und wählte einen gefahrloseren Weg, sich zu bereichern. Sie stahl Bücher und verkaufte sie beim Trödler. Sie war schlau genug, nur solche Bücher zu beseitigen, die schon lange Zeit in den Regalen gelegen waren, auch ging sie nicht stets zu demselben Trödler, sondern immer zu einem andern.

Das Geld aber, das sie heimlich und gierig wie eine Dohle zusammentrug, versteckte sie auf dem Dachboden des Hauses. In der Mauer neben dem Kamin war ein Ziegelstein locker, den nahm sie heraus, die Höhlung hatte sie nach und nach vergrößert und wenn sie ihren Raub untergebracht hatte, stellte sie ein Brettchen davor und schob den Stein wieder in das Loch.

War dann kein Laut zu hören, der sie verscheuchte, so überließ sie sich mit gefalteten Händen ihren Betrachtungen, und auf ihrem stumpfen Gesicht malte sich ein böser und fanatischer Traum.


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