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Als Lenore das erstemal Daniel besuchte, war es schon Abend. Sie hörte das Klavier und das durchdringende Krähen von Daniels Stimme von weitem. In der Tiefe des Flurs sah sie drei weiße Gestalten, eng aneinandergeschmiegt wie Hühner auf einer Stange.
Es waren die Schwestern Rüdiger, die dem Schaffen des Künstlers lauschen wollten. Sie verstanden es so im niedern und im hohen Sinn, daß sie dem Schaffen lauschten. Als Lenore über dem Stiegenrand sichtbar wurde, erschraken sie und raschelten davon.
Die drei ältlichen Herzen mochten stürmisch klopfen. An diesem Abend hatten sie keine Lust mehr, Jasmine zuzuhören, an der die Reihe war, Rückerts Makamen vorzulesen.
»Es schickt sich nicht,« sagten sie immer wieder. Eine sagte es der andern, wenn sie an Lenores Kommen zu Daniel dachten: »Es schickt sich nicht.« Auch das Dienstmädchen Meta war dieser Ansicht.
Während Daniel weiterspielte und ihr bloß zunickte, fiel Lenores Blick sogleich auf die Maske der Zingarella. Sie trat hin und nahm die Maske vom Nagel an der Wand. Sie versenkte sich schweigend in den Anblick des Gebildes. Ihr Innerstes wurde berührt.
Daniel hatte sich indes vom Klavier erhoben, und ein lauter Zuruf von ihm ließ sie zusammenfahren. »In des Teufels Namen, was treiben Sie?« fuhr er sie ärgerlich an. Er nahm die Maske, die sie so leicht und bebend hielt, aus ihren Händen und hing sie mit zärtlicher Sorgfalt wieder an den Nagel.
Gleich schossen dem empfindlichen Kind die Tränen in die Augen, und sie kehrte sich ab, um ihr Gesicht zu verbergen. Daniel blieb mürrisch, hätte aber doch seine Grobheit gern wieder gut gemacht. Er brachte ein halbzerfetztes Buch herbei, das er wie ein Heiligtum behandelte, und erbot sich, es ihr zu leihen. Es war eine Übersetzung des schönen alten Romans Manon Lescaut.
Lenore stellte sich aber nun häufig nach Bureauschluß ein, blieb nicht lange, damit man zu Hause nicht unruhig würde, aber in der kurzen Zeit hatte sie doch immer etwas zu richten und zu ordnen, die Papiere auf dem Tisch, die Noten im Ständer.
Sie lernte auch Benda kennen, und dieser gewann sie lieb. In ihrer Gegenwart wurde ihm wohl, und er begriff nicht, daß Daniel nicht ebenso empfand. Er schien gar keine Augen für Lenore zu haben. Glich er doch einem Menschen, der einen mit Eiern gefüllten Korb trägt und nur darauf achtet, daß ihm kein Ei herausfällt und zerbricht.
An manchen Abenden begleiteten die Freunde das Mädchen nach Hause. Daniel sprach immer von sich, und Benda hörte lächelnd zu, oder Benda sprach von Daniel, und Daniel hörte ernsthaft zu.
Die Leute sagten von Lenore: jetzt zieht sie schon mit Dreien herum, erst war's der Freiherr allein. Da wird man noch was erleben.
Hin und wieder fiel ein Fetzen des lumpigen Geredes auf Lenores Weg, aber sie ging arglos vorüber. Aus der gläsernen Kugel blickte sie kühl und heiter in die Welt, und sie wußte die Blicke der Verleumder nicht zu deuten.