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Sie lag schlaflos, spät in der Nacht. Sie hörte, wie er in die Küche ging und Wasser zum Trinken holte, dann kehrte er wieder in seine Stube zurück. Er hatte ihr verboten, an die Türe zu schleichen und zu fragen, ob er nicht bald käme, wenn es auch noch so spät wurde.
Dann lag er neben ihr, den Kopf auf den Arm gestützt und sah sie an mit Augen ohne Irdischkeit. Mann, wo sind deine Augen? hätte sie rufen mögen. Und sie wußte doch, wo; wußte auch, daß man die Mondsüchtigen durch Zuruf gefährdet.
In einer andern Nacht hatte er sein Werk nicht fördern können, kauerte stundenlang auf dem Bettrand und stierte voll Selbsthaß in die Flamme der Lampe. Gertrud fühlte, wie er gegen sich wütete und mit Wollust seine Zweifel nährte. Sie war nicht fähig, zu sprechen.
Ein Verleger hatte ihm eine Arbeit zurückgeschickt und ihn mit platten Höflichkeiten vertröstet. Da redete er wegwerfend von seinem Talent, hoffnungslos von seinen Aussichten und bitter von der Welt, die ihn zu einem Leben in beständiger Dunkelheit verdammen werde.
Sie konnte ihn nur anschauen; nur anschauen.
Ihm war aber des Anschauens zu viel. Ein frisches, kräftiges Wort hätte ihm besser gedient, so glaubte er.
Sie maß die Arbeit nicht am Lohn, Entbehrung nicht an der Hoffnung; sie maß auch Daniels Liebe nicht an seinen Liebesbeweisen, weder an zärtlichen Äußerungen noch an Umarmungen. Sie wartete auf ihn mit großer Geduld. Mit der Zeit machte ihn diese Geduld verdrießlich. »Etwas mehr Rührigkeit stünde dir nicht übel an,« sagte er einmal und wies ihre schüchtern bittende Gebärde zurück.
Er sah sich nun umfriedet, er hatte ein Heim, er hatte einen Menschen, der für ihn sorgte, sein Essen bereitete, seine Wäsche wusch, sein Leben treulich regelte, und er hätte dafür dankbar sein müssen. Er war es auch, er war dankbar, aber er konnte es nicht zeigen; er war es, wenn er allein war, doch in Gertruds Nähe verwandelte sich der Dank in Trotz. War er fern von ihr, so freute er sich auf die Rückkehr und malte sich ihre Freude aus. War er bei ihr, so übte er stille Kritik und wollte alles an ihr anders haben.
Die Kanzleirätin im ersten Stock beklagte sich, daß Gertrud sie nicht gegrüßt habe. »Sei doch freundlich mit den Nachbarn,« schalt er. Am nächsten Sonntag gingen sie zusammen aus, die Kanzleirätin kam ihnen entgegen, und Gertrud grüßte sie. »So ergeben brauchst du nicht zu lächeln,« murrte er. Da dachte sie lange darüber nach, wie man grüßen müsse, ohne die Leute zu verletzen und ohne Daniel zu ärgern. Sie wurde befangen und fürchtete sein Urteil.
An solchen Tagen versalzte sie die Suppe, nichts ging ihr von der Hand und aus lauter Beflissenheit, pünktlich zu sein, verfehlte sie die Zeit. Wie grausam war es dann, wenn er schwieg, wenn er wortlos in seine Stube ging. Ohne Regung saß sie da und lauschte; zitterte, wenn er sich erhob, um ans Klavier zu treten und ein Motiv zu erproben, sah gespannt in sein Gesicht, wenn er wieder hereinkam. Und es geschah dann wohl, daß er sich zu ihr setzte und plötzlich gütig war. Von seinem Leben erzählte, von seiner Heimat, von seinem Vater und seiner Mutter. Da hätte sie jedes seiner Worte zweimal hören mögen und jeden seiner Blicke trinken. Da wurde sein Auge ruhig und seine reizbaren Hände lagen still auf den Knien. Da nahm sein zuckendes, eckiges, von Wettern überstürmtes Gesicht einen Ausdruck der Trauer an, der es verschönte.
Und wenn sie Kopfschmerzen hatte oder müde war, äußerte sich seine Besorgnis in rührender Weise. Auf den Fußspitzen ging er dann umher und schloß die Türen mit Behutsamkeit. Bellte ein Hund auf der Straße, so stürzte er ans Fenster und schaute wütend hinaus. Und am Abend half er ihr beim Auskleiden und brachte ihr, was sie verlangte, ans Bett.
Auch war es seltsam, daß er sie nicht gern allein ausgehen ließ. Seine Unruhe, wenn sie fort und er zu Hause war, hatte etwas Kindliches. Sie schien ihm ohne seine Gegenwart von Gefahren umdroht und am liebsten hätte er sie eingesperrt und gefangen gehalten, um sicher zu sein, daß sie in Sicherheit war. Dies machte sie schwächer und von ihm über alle Maßen abhängig, während er einem Menschen glich, der mit Angst und Qual das an sich preßt, was er errungen hat; es an sich preßt, weil es sein einziger Besitz ist, dieses wohl; aber auch darum es umklammert, um nicht hindenken zu müssen an ein anderes, Kostbareres, das er verloren hat.
Einmal kam er zu Gertrud, als sie die Harfe spielte, schlang die Arme um sie, schaute ihr wild und finster ins Gesicht und stammelte: »Du, ich liebe dich, liebe dich.« Es war das erstemal, daß er dieses ewige Wort sagte, und sie wurde bleich, erst vor Glück, dann vor Schrecken. Denn in seinem Ton lag eher Haß als Liebe.