Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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3

Er stand auf dem Egydienplatz und schaute hinauf zu den Jordanschen Fenstern. Alle Fenster waren schwarz.

Gern hätte er gerufen, aber der Name, der sich auf seine Lippen drängte, flößte ihm Angst ein. Die leidenschaftliche Wallung wollte seine Brust sprengen.

Er mußte noch etwas mit sich anfangen, mußte reden, mußte fragen und eine Stimme hören. So eilte er zur Füll und rief unter Bendas Fenstern Bendas Namen. Die Uhren schlugen drei.

Endlich wurde ein Vorhang aufgerollt und Bendas dickliche Gestalt zeigte sich am offenen Fenster. »Daniel, du? Was ist geschehen?«

»Nichts ist geschehen. Das Jahr will ich dir bringen.«

»Ob du mir damit was Gutes bringst? Geh heim und leg dich aufs Ohr.«

»Willst mich nicht hinauflassen, Friedrich? Reden wir noch ein wenig vom Glück!«

»Sei nicht übermütig. Wir könnten's verreden.«

»Philister! Gib mir wenigstens deinen Segen.«

»Den hast du. Jetzt geh nur, Nachtgeist, und laß die Leute schlafen.«

Da öffnete sich noch ein Fenster, im Erdgeschoß, und des Herrn Carovius wüste Bettphysiognomie starrte am Haus empor, starrte gegen den Ruhestörer auf der Straße, und mit einem grimmig feixenden Laut, rachsüchtig die Faust schwingend, schloß der entrüstete Mann das Fenster wieder.

Abermals trieb es Daniel zum Egydienplatz hin, abermals schaute er zu den Fenstern hinauf, fast flehend. Der innere Sturm wurde wilder. Lange Zeit noch rannte er durch die Gassen, und erst gegen fünf Uhr kam er heim.

Durch den dunklen Flur gehend, gewahrte er oben an der kleinen Treppe ein Licht. Meta trug es, die schon aufgestanden war, um zur Früharbeit zu gehen. Er zögerte, er sah sie an und mit drei Sätzen war er bei ihr droben.

»So spät?« flüsterte sie ahnungsvoll verlegen und nestelte mit der Linken an den Knöpfen ihres schlechtgeschlossenen Gewandes.

»Daß ich noch einen lebendigen Menschen fassen kann heute,« stieß er hervor.

Sie wehrte sich, als er sie in ihre Kammer ziehen wollte, bog den Leib zurück und umpreßte sein Handgelenk. Das Licht trug sie noch immer.

»Wie mir zumut ist, Meta! Wüßtest du's! Ich brauch dich, halt mich fest mit deinen Armen.«

Da sträubte sie sich nicht mehr. Vielleicht war auch sie nicht ohne Wunsch. Vielleicht war es eine Stunde, wo die Natur gebieterischer sprach als sonst. Vielleicht litt sie an der Einsamkeit unter den drei alten Jungfern. Es war noch finstere Nacht, und für sie sollte es schon Tag sein, der erste im Jahr, den sie festlich empfand. Sie gab nach.

Sie war unverdorben; sie wußte nicht, was sie auf sich nahm. Heimlich war ihr der Mensch nie gewesen, aber jetzt spürte sie das gleichgeartete Geschöpf, und sie gab nach.

So kehrte Daniel zur Erde zurück, nachdem er mit ungeheurer Begierde an die Pforten der Götter gepocht hatte. Die Götter lächelten tiefsinnig, denn sie hatten beschlossen, aus dieser Stunde ein besonderes Schicksal wachsen zu lassen.


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