Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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15

Dem Apotheker Pflaum war es zu eng in seinem Haus an der Heiligengeistkirche geworden. Er hatte in letzter Zeit mehrere Häuser besichtigt und sich schließlich für das Schimmelweissche entschieden, das zum Kauf ausgeboten war. Die Apotheke blieb vorläufig, wo sie war, auch Jason Philipp Schimmelweis behielt Laden und Wohnung. Der Apotheker wollte als Hausherr den ersten und den zweiten Stock beziehen; er hatte eine zahlreiche Familie.

An einem schönen Augustnachmittag verließen beide Herren, der Apotheker und der Buchhändler, die Kanzlei des Notars Rübsam, wohin sie sich verfügt hatten, um wegen der Umschreibung der auf dem Kaufstück lastenden Hypotheken zu verhandeln. Ein wolkenloser Himmel mit schon abendlich gefärbtem Blau strahlte über der Stadt.

Der Apotheker Pflaum sah aus wie ein Mann, der alle Kümmernisse hinter sich hat und sich seiner Sorgenlosigkeit freut. Jason Philipp Schimmelweis hingegen war verdüstert. Er sah aus wie ein Mann, der heruntergekommen ist. Auf seinem Rock glänzte ein Fettfleck. Dieser Fettfleck erzählte von häuslichen Unannehmlichkeiten; er erzählte, daß Jason Philipp eine Frau hatte, die seit Monaten krank darniederlag, ohne daß ein Arzt zu sagen wußte, an welcher Krankheit sie litt. Jason Philipp war erzürnt gegen die Frau, gegen die Krankheit, gegen die Doktoren und gegen die wachsende Verwirrung und Unordnung seiner Lebensumstände.

Als sie über den Egydienplatz gingen, warf er auf das Haus, in welchem Daniel wohnte, einen Blick unbändigen Hasses. Aber er sagte nichts, er kniff bloß die Lippen zusammen und senkte den Kopf. Dabei bemerkte er den Fettfleck auf seinem Rock und ließ ein ärgerliches Brummen hören. »Ich werde mit Ihnen gehn, Herr Apotheker, und mir ein Fläschchen Benzin mitnehmen,« wandte er sich an seinen Begleiter, und seine Stimme hatte jene kaum wahrnehmbare, wenn auch widerwillige Demut, die der Arme dem Reichen gegenüber an den Tag legt.

»Schön, schön,« antwortete der Apotheker, »kommen Sie nur.« Und er blies Luft von sich, weil ihm heiß war. »Grüß Gott,« schrie er plötzlich und schwenkte den Arm, »grüß Gott! Was machen denn Sie hier?«

Der Anruf galt Herrn Carovius, der in eigentümlicher Versonnenheit vor dem Gänsemännchen-Brunnen stand.

»Ihr Diener, meine Herren,« sagte Herr Carovius.

»Ich sehe, es gibt noch Einheimische, die unsere einheimischen Kunstwerke studieren,« spöttelte der Apotheker und blieb stehen. Auch Jason Philipp blieb stehen und schaute zerstreut und verwundert auf den bronzenen jungen Mann mit den zwei Gänsen. In der Nähe spielten Knaben mit einem Ball, und als sie die drei Männer vor dem Brunnen stehen sahen, unterbrachen sie ihre Beschäftigung und stellten sich grinsend herum, wie wenn etwas Neues zu bestaunen wäre.

»Wir wissen gar nicht, was für Reichtümer wir besitzen,« sagte Herr Carovius.

»Stimmt, stimmt,« nickte der Apotheker.

»Und ich denke eben darüber nach, was für eine Bedeutung diese Gruppe haben mag,« fuhr Herr Carovius fort, »es ist etwas Musikalisches in dem Motiv, ganz unleugbar etwas Musikalisches.«

»Stimmt, stimmt,« wiederholte der Apotheker, um nach einer Pause verblüfft hinzuzusetzen: »Ja, wieso denn etwas Musikalisches?«

»Ausgerechnet etwas Musikalisches?« murrte Jason Philipp Schimmelweis, den das bloße Wort Musik in Unbehagen versetzte.

»Ja, das muß man halt kapieren,« sagte Herr Carovius spitzig und zog einen Jungen, der sich bis an sein Hosenbein gewagt hatte, am Ohr, daß er ein Jammergeschrei von sich gab.

Auf einmal brach Jason Philipp Schimmelweis, nachdem er noch einen wütenden Blick auf das Monument geworfen hatte, in ein Gelächter aus. »Jetzt begreif ich,« stotterte er hustend, »Sie sind ein Fuchs, bester Herr Carovius, Sie sind ein Schlauberger.«

»Was gibts denn, meine Herren?« fragte der Apotheker, der unruhig war, weil er argwöhnte, der Heiterkeitsausbruch sei irgendwie gegen ihn gerichtet.

»Na, sehen Sie denn nicht? Verstehen Sie denn nicht?« keuchte Jason Philipp mit scharlachrotem Gesicht, »die beiden Gänse –? Das Musikalische und die beiden Gänse –? Geht Ihnen noch immer kein Licht auf?«

»Nicht im Allergeringsten,« sagte der Apotheker und bemühte sich, einen Grund zu entdecken, um mitlachen zu können.

Carovius aber hatte verstanden. Er streckte den Zeigefinger der linken Hand kerzengerade in die Luft und brach gleichfalls in ein wieherndes Gelächter aus. Er packte den Apotheker am Arm und immer in den Pausen zwischen zwei Lachsalven meckerte er: »Großartig! – Unter jedem Arm eine Gans! – Unbezahlbar! – Herr Schimmelweis, das mög Ihnen Gott vergelten! Das haben Sie ausgezeichnet gegeben.«

Nun war sich auch endlich der Apotheker über den Zusammenhang klar. Er patschte sich auf die Schenkel und rief: »Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht der beste Witz ist, den ich in meinem ganzen Leben gehört habe.«

Jason Philipp Schimmelweis faßte sich wieder. Er drückte die Hände auf seinen Magen und sagte atemlos: »Wer hätte gedacht, daß das Gänsemännchen leibhaftig unter uns wandelt?«

»Ja, wer hätte das gedacht,« gab Herr Carovius zu. »Ein Fund! ein Kapitalschuß! Wir beschließen einfach: Gänsemännchen! Wir sind ja beschlußfähig. Wir sind ja drei. Ist doch ein alter Satz: tres faciunt collegium.«

»Und die,« stotterte Jason Philipp, mit dem Finger auf die Brunnengruppe deutend, indem Lachtränen über seine runden Bäckchen flossen, »die sind auch drei, die auch!«

»Die auch, die auch, das ist wahr,« kreischte Herr Carovius.

»Eine Prise, meine Herren,« sagte der Apotheker, seine Tabaksdose ziehend.

»Nein, auf den Spaß muß ich mir eine Zigarre anstecken,« erwiderte Jason Philipp schluckernd.

»Ich denke, wir begießen die Geschichte mit einem Glas Salvator,« schlug Herr Carovius vor.

Die zwei andern erklärten sich einverstanden, und so marschierte das Kollegium über den Platz, machte bisweilen, von einem gemeinsamen Lachkrampf neuerdings bezwungen, halt und wandte sich mit vertrockneten Kehlen dem Wirtshaus zu.

Vielleicht war es nur ein Abendschatten, der den Ausdruck hervorbrachte, vielleicht eine seltsame Beseelung, aber das stolzstehende Brunnenmännchen hinter seinem Gitter schien ihnen traurig und erstaunt nachzublicken, während die spielenden Buben den ergötzlichen Zwischenfall bald vergessen hatten.


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