Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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3

Auf dem Kornmarkt in Nürnberg betrieb Jason Philipp Schimmelweis, der Mann von Mariannes Schwester, eine Buchbinderei.

Schimmelweis war ein Westfale. Er war aus Haß gegen Junker und Pfaffen in die protestantische Stadt im Süden gekommen und hatte von Anfang an allen Leuten durch seine Mundfertigkeit große Achtung abgenötigt. In dem Haus, wo er sein Geschäft errichtet, hatte auch Therese Höllriegel gewohnt und sich durch Schneidern ihr Brot verdient. Er hatte geglaubt, sie besitze einiges Geld, aber es hatte sich erwiesen, daß es für seinen Ehrgeiz zu wenig war. Da benahm er sich gegen Therese so, als ob sie ihn betrogen hätte.

Er verachtete sein Handwerk und wollte höher hinaus. Er fühlte den Beruf zum Buchhändler in sich. Aber um diesen Plan zu verwirklichen, mangelte es ihm an Kapital. So hockte er denn mißvergnügt in dem unterirdischen Gewölbe und leimte und falzte und zürnte seinem Geschick und las in seinen Mußestunden sozialistische und freigeistige Schriften.

Es war der Herbst, in dem der Krieg gegen Frankreich wütete. Am Vormittag war die Kunde von der Schlacht bei Sedan eingetroffen. Von allen Kirchen läuteten die Glocken.

Da trat zu Jason Philipps Verwunderung Gottfried Nothafft in die Werkstatt. Sein langer Patriarchenbart und die hohe Gestalt machten ihn zu einer ehrwürdigen Erscheinung, obwohl sein Gesicht müde aussah und die Augen erloschen waren.

»Grüß Gott, Schwager,« sagte er und bot die Hand, »dem Vaterland geht's besser als seinen Bürgern.«

Schimmelweis, der Verwandtenbesuche nicht liebte, erwiderte den Gruß mit vorsichtiger Kälte. Erst als er erfuhr, daß Gottfried im »roten Hahn« Logis genommen, hellten sich seine Züge auf. Er fragte, was den Schwager in die Stadt geführt.

»Ich habe mit dir zu sprechen,« antwortete Gottfried Nothafft.

Sie gingen in einen Raum hinter der Werkstatt und setzten sich nieder. In Jason Philipps Augen lag ein abschlägiger Bescheid schon jetzt für jedes Ansinnen, das ihn Mühe oder Geld kosten würde. Aber er fand sich angenehm enttäuscht.

»Du sollst wissen, Schwager,« begann Gottfried Nothafft, »daß ich mir in den neunzehn Jahren, die ich mit meinem Weib zusammengelebt, dreitausend Taler erspart habe. Und weil mir zumut ist, als könnte mir bald was Menschliches zustoßen, komm ich zu dir mit der Bitte, das Geld in Verwahrung zu nehmen für Marianne und den Buben. Hab Sorge genug gehabt, es beiseite zu halten in der letzten schlimmen Zeit. Marianne weiß nichts davon und soll nichts davon erfahren. Sie ist ein schwaches Weib, die Weiber verstehen nichts vom Gelde und was für eine Würde es hat, wenn es mit so saurem Schweiß erworben ist. In einer Stunde der Not greift sie danach, und eh sie sich besinnt, ist's weg. Ich will aber meinem Daniel den Eintritt ins Leben erleichtern, wenn er die Lern- und Lehrjahre hinter sich hat. Er ist jetzt zwölf, also noch einmal zwölf, so Gott will, und er ist ein Mann. Marianne kannst du mit den Zinsen aushelfen, und ich verlange nichts anderes von dir, als daß du schweigst und an dem Jungen väterlich handelst, wenn ich nicht mehr bin.«

Jason Philipp Schimmelweis erhob sich und drückte Gottfried Nothafft gerührt die Hand. »Du kannst dich auf mich verlassen wie auf die Bank von England,« sagte er.

»Das hab ich mir wohl gedacht, Schwager, und darum der Weg.«

Er zählte dreitausend Taler in Reichsscheinen auf den Tisch, und Jason Philipp stellte ihm eine Quittung aus. Dann drängte er in ihn, er möge doch die Nacht über im Hause bleiben, allein Gottfried Nothafft sagte, er müsse wieder heim zu Weib und Kind und habe von der verflossenen Nacht genug, die er in der lärmenden Stadt zugebracht.

Als sie in die Werkstatt zurückkehrten, saß Therese dort und hielt ihr Erstgebornes, die dreijährige Philippine, auf dem Schoß. Das Mädchen hatte einen großen Kopf und häßliche Züge. Gottfried vergönnte sich kaum Zeit, der Schwägerin Rede zu stehen. Später erkundigte sich Therese bei ihrem Mann, was Nothafft gewollt habe. Kurzangebunden versetzte Jason Philipp: »Mannsgeschäfte.«

Drei Tage darauf schickte Gottfried die Quittung wieder; auf ihre Rückseite hatte er geschrieben: »Was soll mir der Wisch, er könnt mich nur verraten. Ich habe Wort und Handschlag von dir, selbes genügt. Mit Dank für deinen Freundschaftsdienst dein treugeneigter Gottfried Nothafft.«


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