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Die im Reichstag beschlossene Verlängerung des Sozialistengesetzes, sowie die zu gewärtigende neue Heeresvorlage erregten in vielen Teilen des Landes eine bedrohliche Gärung.
Im Oktober wollten die Sozialdemokraten einen allgemeinen Umzug durch die Straßen veranstalten, die Polizei jedoch verbot dies. Am Abend des Verbots standen die Regimenter feldmarschmäßig gerüstet in den Kasernen, und in der Stadt herrschte eine gedrückte Stimmung. In Wöhrd und Plobenhof kam es zu Aufläufen, und in den engen Gassen der inneren Stadt drängten sich Tausende von Arbeitern gegen das Rathaus.
Bisweilen erhob sich aus der schweigenden Masse ein langgezogener Pfiff, und von der Hauptwache schallte dumpfer Trommelwirbel herüber.
Unter denen, die von der Königsstraße herunterkamen, befand sich der Arbeiter Wachsmuth. In der Nähe des Schimmelweisschen Ladens angelangt, führte er aufreizende Reden gegen das ehemalige Mitglied der Partei, und seine Worte fielen auf fruchtbaren Boden. Ein Schlossergesell, der durch die Prudentia zu Schaden gebracht worden war, stieß wütende Beschimpfungen gegen den Buchhändler aus.
Vor dem erleuchteten Auslagefenster staute sich die Menge. Wachsmuth stand an der Tür und schrie, der Verräter müsse heut noch an einem Laternenpfahl baumeln. Ein Stein flog über die Köpfe, die Glasscheibe brach in Scherben, und gleich darauf stürmte ein Dutzend Kerle in den Laden. Wo der Bluthund sei, wo der Aussauger sei, brüllten sie; haben wollten sie ihn; einen Denkzettel wollten sie ihm geben.
Ehe Therese antworten konnte, schwirrten bereits Fetzen von Büchern und Zeitschriften umher, wurden Broschüren unter schmutzigen Stiefeln zertrampelt; Arme streckten sich nach den Regalen, aufgestapelte Stöße fielen zusammen. Zwanziger war auf die Leiter gestiegen und heulte; Therese stand gespensterhaft neben ihrem Kassatisch, und durch die hintere Tür war Philippine eingetreten und blickte, ein tückisches und überraschtes Lächeln auf den Lippen, ohne Schrecken in den Tumult. Da erschallte die Signalpfeife der Polizisten. Mit der Schnelligkeit eines Atemzuges wandten sich die Aufrührer zur Flucht.
Als Therese zur Besinnung kam, war der Laden leer; auch die Gasse draußen war leer wie zur Mitternacht. Nach einer Weile erschienen die Polizeidiener, und später drängten sich Neugierige an der Schwelle und bestaunten den Schauplatz der Verwüstung.
Jason Philipp hatte das Unheil kommen gesehen und war rechtzeitig aus dem Laden in die Wohnung geflüchtet. Er hatte sogar die Zimmertüre zugesperrt und war zähneklappernd auf einen Stuhl gesunken.
Jetzt kam er wieder herunter und trat den Gerichtspersonen, die sich indessen eingefunden hatten, mit schmerzlicher Würde entgegen. Er sagte: »Das von einem Volk, für welches ich Gut und Blut geopfert habe.«
Zwanziger war in seiner Zeugenaussage von prahlerischer Ausführlichkeit. Philippine blickte ihn unter den Simpelfransen, die ihr tief in die Stirn hingen, mit giftiger Verachtung an und murmelte: »Ekelhafter Feigling.«
Als Jason Philipp später vom Wirtshaus heim kam, sagte er: »Es ist ein verhängnisvoller Wahn, zu glauben, daß die Menschheit ohne Knute regiert werden kann.« Und er schob die gestickten Pantoffeln (»dem Müden zum Trost«) an die Füße. Die Pantoffeln waren bedeutend gealtert und Jason Philipp selbst war gealtert. In seinem Bart schimmerten silberweiße Haare.
Therese überrechnete den Schaden, den der Pöbel angerichtet. Sie fühlte, daß es mit Jason Philipps Glück zu Ende ging.
Ausgestreckt im Bette liegend, sagte Jason Philipp: »Ich habe demnächst ein ernstes Wörtlein mit dem Baron Auffenberg zu reden. Entweder die freisinnige Partei entschließt sich zu einem energischen Schritt gegen den Übermut der untern Klassen, oder ich bin ihr Mann gewesen.«
»Wieviel Maß Bier hast du getrunken?« fragte Therese aus den Kissen.
»Zwei.«
»Das ist sicher gelogen.«
»Möglich, daß es drei waren,« versetzte Jason Philipp gähnend, »aber deswegen einen Mann wie mich der Lüge zu beschuldigen, das bringt nur eine so ungebildete Frau wie du fertig.«
Da blies Therese die Kerze aus.