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612. Peter und Lene.

Heim. 11, 96 ff. (»Hans un Greten«). Bolte 1, 116.

Zwei Kinder, Peter und Lene, gingen einmal in den Wald nach Beeren und Blumen; sie gingen und pflückten und kamen immer weiter in den Wald hinein, ohne daß sie es gewahr wurden. Da ward dem Lenchen endlich so angst, daß sie sich wohl verirrt hätten, und es war auch wirklich so. Je mehr sie nun nach der rechten Straße suchten, je weiter kamen sie von ihr ab und je tiefer gerieten sie in den Wald. Peter erblickte zuletzt ein Lichtchen; darauf gingen sie zu und kamen zu einem ganz kleinen Hause, das war das Pfannkuchenhaus, das war mit Pfannkuchen gedeckt und die Wände waren von frischen Mettwürsten aufgesetzt. Da lief Peter eilig darauf zu, denn er war hungrig, und langte sich einen Pfannkuchen herunter, aber der Pfannkuchen war so heiß, als wäre er eben aus der Pfanne gekommen; da mußte er ihn fallen lassen. Aber Lenchen nahm nun auch einen, kehrte ihn ein paarmal zwischen den Händen hin und her, und als er sich nun abgekühlt hatte, aßen sie ihn auf. Also taten sie sich gütlich an den Pfannkuchen und auch an den Mettwürsten. Als sie aber kaum mit dem Essen fertig waren, so brach da Donner und Blitz über ihnen los, ein Blitz fuhr in das Haus und mit einem Male war es in ein scheußliches finsteres Loch verwandelt und Peter und Lene steckten darin. Sie weinten und schrien, aber all ihr Weinen und Schreien half nichts, sie mußten in dem finstern Loche sitzen bleiben. Vor Müdigkeit und Trübsal schliefen sie endlich ein. Als sie nun am andern Morgen erwachten, so fanden sie da etwas neben ihnen stehen, sie merkten gleich, daß es ein Korb wäre, und als Peter ihn ausmachte, war da der schönste Braten und Wein und Gemüse und Früchte, kurz die allerherrlichsten Speisen waren darin. Daran erquickten sich die Kinder und trösteten sich allmählich über ihre traurige Gefangenschaft. Denn wenn sie auch gar gerne aus dem Loche befreit gewesen wären, so fanden sie doch jeden Morgen einen solchen Korb vor ihnen stehen, immer mit den schönsten Speisen angefüllt. Das dauerte nun so ein paar Wochen. Da an einem Morgen kam wieder ein fürchterliches Gewitter, und als die Kinder von einem grausamen Donnerschlag erwachten, stand eine alte abscheuliche Hexe vor ihnen und glotzte sie mit ihren großen Augen, die wie Kohlen brannten, an und sprach: »Nun habt ihr genug gegessen, nun will ich euch schlachten und auffressen.« Sie führte die Kinder nun hinauf in eine Küche und Lenchen sollte den Backofen glühend machen und Peter sollte Wasser tragen. Aber Peter wollte das nicht und wehrte sich; da aber rührte die Alte ihn an und er mußte stehen wie eine Bildsäule; er hatte keine Macht gegen sie und mußte tun, was sie wollte. Als nun der Ofen glühte und das Wasser kochte, da kam die Alte wieder, faßte Lenchen beim Arm und wollte sie in den Ofen schieben. Aber in dem Augenblicke erschien über ihnen eine Jungfrau, schön wie der Tag, in einem blauen Kleide, auf einem silbernen, von zwölf Tauben gezogenen Wagen; in der Hand hielt sie einen Becher mit Wasser, den reichte sie Peter und sprach zu ihm: »Lösche die Glut des Ofens.« Peter nahm den Becher, und wie er ihn in den Ofen schüttete, erlosch die Glut augenblicklich. Darauf sprach die Jungfrau zu der bösen Alten: »Wie konntest du dich unterstehen, das Wasser zu mißbrauchen, das mir untertan?« und als sie die Alte mit ihrem Stabe berührte, fiel die tot zur Erde. Nun hob sie die Kinder zu sich in den Wagen, nahm den Zauberstab der Hexe zu sich und fuhr davon, und die Tauben zogen sie. Unterwegs aber erzählte die Jungfrau den Kindern: »Mir ist das Wasser untertan, der alten Hexe aber gehörte das Feuer; weil sie aber mein Element gebrauchen wollte, um euch hineinzuwerfen und dann auch aufzuessen, was ich nicht zugeben wollte, so hatte ich Macht über sie; wir sind jetzt von der alten Hexe befreit und das Feuer ist mir von nun an auch untertan.« Darauf brachte sie Peter und Lenchen wieder zu ihren Eltern, die ihre Kinder längst für tot gehalten und betrauert hatten; sie beschenkte alle reichlich mit vielen schönen und kostbaren Sachen und die Leute wurden reich bis zum Überfluß. Peter und Lenchen lebten lange Zeit glücklich, aber jedes Jahr besuchten sie einmal ihre Wohltäterin, die schöne Jungfrau.

Mündlich aus Marne. Das gewöhnliche Märchen vom Pfannkuchenhaus, wo die Hexe, wie in Nr. 598, die Kinder verfolgt, ist außerdem ganz bekannt.

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