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597. Jungfer Maleen.

Wisser 206 (»De Könisdochter in Keller«). Heim. 12, 236. 13, 43 ff. Bolte 3, 443. Vgl. das Kinderspiel 637, 5.

Es waren einmal zwei Könige, der eine hatte einen Sohn, der andere hatte eine Tochter, die hieß Jungfer Maleen. Die beiden jungen Leute hatten sich einander so recht von Herzen lieb und hätten auch sich herzlich gern geheiratet, aber Jungfer Maleens Vater wollte es nicht zugeben. Jungfer Maleen aber wollte nicht von dem Königssohn lassen, den sie so lieb hatte, und hörte nicht auf den Befehl ihres Vaters, so daß dieser darüber endlich so böse ward und sie verurteilte, sieben Jahre lang eingemauert in einem hohen Turm zu sitzen. So geschah es denn auch. Jungfer Maleen ward mit einer Kammerfrau in den Turm geführt und auf sieben Jahre ward ihnen Speise und Trank mitgegeben; dann wurden die Eingänge des Turms ohne Erbarmen zugemauert. Da saßen sie nun in dem finstern Gefängnis, keine Sonne und kein Mond schien herein, kein Laut von außen konnte zu ihnen dringen. Tag für Tag und Jahr für Jahr ging ihnen unter Jammern und Klagen in ewiger Dunkelheit und Einsamkeit vorüber, ohne daß sie wußten, wie weit es an der Zeit sei. Endlich aber merkten sie, als ihr Speisevorrat aufgezehrt war, daß die sieben Jahre um sein müßten. Aber niemand kam, der sie aus dem Gefängnis befreite, und keine Hand ward angelegt, den Turm zu zerbrechen. Da trieb sie die Not, sich selber zu helfen und zu versuchen, ein Loch durch die dicken Mauern zu bohren. Drei Tage lang bohrten sie unablässig, da drang der erste Lichtstrahl in ihre Finsternis. Eifrig setzten sie ihre Arbeit fort, bis sie ins Freie schauen konnten. Da sah Jungfer Maleen nun ihres Vaters Reich wieder, aber sein Schloß war zerstört, die Städte und Dörfer waren verbrannt, die Felder weit und breit umher verheert und alles war ganz wüste und öde; keine Menschenseele ließ sich blicken. So mußten sie sich denn selber helfen. Sie vergrößerten allmählich das Loch, bis sie hindurchkriechen konnten, dann schlüpfte die Kammerfrau zuerst hinaus und Jungfer Maleen folgte ihr; es gelang ihnen, sich auf den Boden hinab zu lassen. Aber da fanden sie alles ganz menschenleer, denn die Feinde, die das Reich überfallen, hatten die Einwohner erschlagen und den König verjagt. Die Mädchen irrten umher und suchten ihn, aber wo sollten sie ihn finden, da niemand ihnen sagen konnte, wo er geblieben sei? So wanderten sie durch des Königs Reich; Herberge und Speise waren nirgend zu finden: Nachts mußten sie auf dem Felde bleiben und Tags mußten sie ihren Hunger an einem Brennesselbusch stillen. So groß war ihre Not. Endlich kamen sie in ein fremdes Land; da erboten sie sich zu jedem Dienste, aber niemand wollte sich ihrer erbarmen, und alle Leute wiesen sie fort, bis sie an den Hof des Reiches kamen. Da wollte man sie freilich im ersten Augenblick auch nicht behalten, nachher aber besannen sie sich, daß sie die beiden Mädchen als Aschenpüster wohl in der Küche brauchen könnten.

Nun war aber gerade der Königssohn, dem das Reich gehörte, eben derselbe, der früher nach Jungfer Maleen gefreit und sich mit ihr verlobt hatte. Es war schon eine andre Prinzessin an dem Hofe, die er heiraten sollte, sie war aber garstig und so häßlich, daß sie sich scheute, sich vor den Leuten sehen zu lassen, Jungfer Maleen aber war so schön wie der Tag. Als nun die Hochzeit sein sollte und die Prinzessin mit ihrem Bräutigam zur Kirche gehen sollte, da schämte sich sich, daß sie so häßlich war, und rief Jungfer Maleen herein und sprach: »Willst du nicht meine Kleider anziehen und für mich zur Kirche gehen?« Jungfer Maleen wollte das nicht und fagte nein; aber die Prinzessin sprach: »Dann soll es dich dein Leben kosten.« Da mußte sie nachgeben, legte der Prinzessin ihre prächtigen Kleider an, hing ihren Schmuck um und alle Leute erstaunten, als sie in den Saal trat, über ihre Schönheit und der Königssohn ging stolz an ihrer Seite. Denn alle meinten, es sei die alte Prinzessin, und wußten nicht, daß es Jungfer Maleen war.

Als sie nun auf dem Wege nach der Kirche waren, stand da ein Brennesselbusch. Da sprach Jungfer Maleen zu ihm:

Brennettelbusch,
Brennettelbusch so klene
Wat steist du hier allene?
Ik heff de Tied gewêten,
Da heff ik di
Ungesaden,
Ungebraden êten.

Da sprach der Königssohn: »Was sprichst du da, mein Kind?« »Nichts«, antwortete sie, »ich sprach nur von Jungfer Maleen.« Der Königssohn wunderte sich, daß sie von Jungfer Maleen wüßte, aber er sagte nichts. Als sie nun an den Steg vor dem Kirchhof kamen, da sprach Jungfer Maleen zu ihm:

Karkstêgels, brick nich,
Bün de rechte Bruut nich.

»Kind«, sagte wieder der Königssohn, »was sprichst du da?« Sie aber sagte: »Nichts, ich dachte nur an Jungfer Maleen.« Da sprach er: »Kennst du denn Jungfer Maleen? Die sitzt ja im Turm gefangen.« »Nein«, antwortete sie, »ich kenne sie nicht, ich habe nur von ihr gehört.« So waren sie an die Kirchentür gekommen. Da sprach Jungfer Maleen zu der Kirchentür:

Karkendœr, brick nich,
Bün de rechte Bruut nich.

Da fragte der Bräutigam zum dritten Male: »Was redest du denn da für dich?« und sie antwortete ihm wieder: »Ich habe nur an Jungfer Maleen gedacht.« Da zog der Königssohn ein köstliches Geschmeide hervor, schlang es um ihren Hals und befestigte es. Dann traten sie in die Kirche und ließen sich trauen. Als sie nun aber wieder nach Hause kamen, da mußte die arme Jungfer Maleen all ihre schönen Kleider ausziehen und sie alle der Prinzessin wieder geben, aber das Geschmeide, das ihr der Königssohn um den Hals gelegt hatte, das behielt sie doch für sich.

Als nun der Königssohn Abends mit der Prinzessin zu Bette sollte und mit ihr allein in der Kammer war, da fragte er sie: »Mein Kind, was sagtest du doch auf dem Kirchwege zu dem Brennesselbusch?« Da antwortete sie: »Zu welchem Brennesselbusch? Ich habe zu keinem Brennesselbusch gesprochen.« »Freilich hast du zu ihm gesprochen«, sagte der Königssohn, »und ich will wissen, was du gesagt hast.« Da kam die Prinzessin etwas in Not, aber sie half sich und sagte:

Mutt herut na mine Maagt,
De mi mien Gedanken draagt.

So lief sie hinaus und fuhr Jungfer Maleen an: »Dirne, was hast du zu dem Brennesselbusch gesagt?« Jungfer Maleen antwortete: »Ich sagte weiter nichts, als:

Brennettelbusch,
Brennettelbusch so klene,
Wat steist du hier allene?
Ik heff de Tied gewêten,
Da heff ik di
Ungesaden,
Ungebraden êten.

Da lief die Prinzessin wieder in die Kammer und sagte es ihrem Mann. Aber dem kam es so wunderlich vor, daß sie hinausgelaufen war, und er fragte weiter: »Und was sagest du denn zu dem Kirchensteg?« Die Prinzessin aber antwortete: »Ich hätte zum Kirchensteg gesprochen?« »Ja freilich«, sagte der Prinz, »hast du zum Kirchensteg gesprochen.« Da kam die Prinzessin noch mehr in Not und sie sagte wieder:

Mutt herut na mine Maagt,
De mi mien Gedanken draagt.

Sie eilte hinaus und fragte Jungfer Maleen: »Dirne, was hast du zu dem Kirchensteg gesagt?« Jungfer Maleen antwortete: »Ich habe weiter nichts gesagt, als:

Karkstêgels, brick nich,
Bün de rechte Bruut nich.«

»Das soll dich doch das Leben kosten«, rief da die Prinzessin zornig, aber sie mußte schnell wieder in die Kammer und dem Königssohn sagen, was sie zu dem Kirchensteg gesprochen haben wollte. Dann fragte er sie wieder: »Und was sagtest du zur Kirchentür?« Die Prinzessin wollte es wieder leugnen, aber der Prinz bestand darauf und so mußte sie wieder hinaus und Jungfer Maleen fragen. Jungfer Maleen aber antwortete wieder: »Ich sagte weiter nichts, als:

Karkendœr, brick nich,
Bün de rechte Bruut nich.«

Da ward die Prinzessin noch viel zorniger und schwur, daß es ihr gewißlich ans Leben gehen sollte. Als sie es aber zu dem Prinzen in der Kammer gesagt hatte, da sprach er: »Wenn du das gesagt hast, so laß mich auch einmal das Geschmeide sehen, das ich dir an der Kirchentür gegeben habe.« »Was für ein Geschmeide?« fragte die Prinzessin, und sie war in großer Angst, »du hast mir kein Geschmeide gegeben.« Nun sagte der Königssohn: »Dann bist du auch die rechte nicht, mit der ich getraut ward; die sollst du mir sogleich zur Stelle schaffen.« Da mußte sie eingestehen, daß ihr Aschenpüster statt ihrer mit ihm zur Kirche gegangen sei, die habe ihre Kleider angehabt und sei mit ihm getraut worden, weil sie, die Prinzessin, so häßlich sei, daß sie sich vor den Leuten schämen müsse. Der Königssohn befahl ihr nun sogleich, ihm das schöne Mädchen herein zu holen. Da ging sie hinaus, als wollte sie Jungfer Maleen rufen; aber sie befahl den Dienern, Jungfer Maleen sogleich umzubringen. Und die griffen sie und schleppten sie schon fort und wollten ihr den Kopf abhauen, da trat noch eben zur rechten Zeit der Königssohn aus der Kammer und erkannte das Geschmeide an ihrem Halse, und daß sie seine rechtmäßig angetraute Frau wäre. Und als er sie nun einmal recht ansah, da gingen ihm erst die Augen auf und er sah, daß sie auch keine andre sei als seine ehemalige Braut, die er ganz vergessen hatte, daß sie Jungfer Maleen selber sei, von der sie immer auf dem Kirchwege gesprochen. Nun befahl er den Dienern, sie in sein Zimmer zu führen; der alten Prinzessin aber ließ er an ihrer Stelle den Kopf abschlagen.

Aus Meldorf. – Auf dieses nicht ganz lückenlose oder doch ein ähnliches Märchen bezieht sich wohl der Kinderreim:

Kling klang kloria,
Wer sitt in dissen Thoria?
Dar sitt en Königsdochter in,
De kann ik nich to seen krign.
De Muur de will nich brêken,
De Steen de will nich stêken.
Hänschen mit de bunte Jack,
Kumm un folg mi achterna.

Oder nach Zeile 4:

Nä, Mutter, schaad ni, baat ni:
Steen un Been verlaat mi;
Kummt de olle bunte Rock
Un faat mi achter an.

*

 


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