Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

522. Die Meerweiber.

Zs. f. Vk. 2, 417.

1.

Bleffers Sulf Klauwes Sone, Reimer Sulf Reimer Solaken und Hans Dehne zu Warwen haben am hellen Mittage ein Meerweib am Strande gesehen. Sie hätte sich gekämmt, hätte lange gelbe Haare gehabt und zwei weiße Brüste wie Schnee. Sie hatten ihr Lebtage keine schönere Frau gesehen und hätten sie lange betrachtet. Als sie aber gemerkt, daß Leute da gewesen, sei sie wieder nach dem Wasser gegangen, hätte sich aber noch wieder umgesehen, wenn sie gerufen, wohl zu fünf oder sechs Malen. Unten wäre sie wie ein Fisch gewesen, auf welche Weise die Meerweiber gemalt werden.

Ehedem ist aus dem alten Kirchhof zu Süden Büsum auch eine Meerfrau gesehen und gefangen worden. Als man sie wegbrachte, hat sie gesagt: »Ich gelobe es euch, so weit, als ihr mich schleppt, soll euer Land wegreißen.«

Neocorus II, 432, vgl. I, 377 von einem Meerweib in Holland; und eine Erzählung aus dem Jeverlande bei Firmenich S. 23. Wolf, Niederl. Sagen Nr. 565. 507 f.

2.

Bei Wenningstede, am Fuße des roten Kliffs, dem hohen westlichen Ufer Sylts, trieb einst eine Meerfrau auf den Strand. Zwei Sylterinnen, die eben zur Stelle waren, ergriffen sie, trugen sie nach Hause und setzten sie in einen Kübel, der zur Hälfte voll Wasser war; allein das Meerweibchen schrie und weinte jämmerlich, und wollte sich nicht zufrieden geben. Da befahl der mitleidige Bauervogt des Orts den Frauen, das arme Wesen wieder ins Wasser zu tragen; es wäre sonst auch bald umgekommen.

Solche Wasserjungfern sind halb Fisch, halb Mensch. Wenn sie sich am Bug eines segelnden Schiffes oder auf der Spitze einer Welle zeigen, so ist ein Sturm nahe und ein vorsichtiger Schiffer zieht alle überflüssigen Segel ein.

Herr Hansen auf Sylt. – Reusch, Samland Nr. 62.

3.

vgl. zu 473. Hansen a. a. O. S. 3.

Ein Schiff ward auf der See vom Sturm überfallen und geriet in die äußerste Gefahr. Da tauchte ein Wassermann am Ruder hervor und, den Fischschwanz im Wasser behaltend, begehrte er den Kapitän zu sprechen. Der Kapitän, ein unerschrockener Mann, fragte, was er denn solle. Da beklagte sich der Wassermann, daß seine Frau sich in Kindesnöten befände, und weil sie aller weiblichen Hilfe entbehre, einen großen Lärm in ihrer Wohnung erhoben hätte. Er bat, daß die Frau des Kapitäns, die sich an Bord befand, herunterkäme und bei der Geburt Beistand leiste. Er versprach auch, sie ohne alle Gefahr wieder aufs Schiff zurückzuführen. Der Kapitän aber verweigerte die Erfüllung der Bitte. Da drohte der Wassermann, daß der Aufruhr im Meere, der nur eine Folge der Schmerzen und heftigen Bewegungen seiner Gattin wäre, noch ärger werden und das Schiff mit Mann und Maus versinken würde. Die Frau des Kapitäns entschloß sich nun, das Wagstück zu bestehen und stieg mit dem Meermann hinunter. Sogleich legte sich der Sturm. Die Geburt des Kindes ging glücklich von statten und nach einigen Stunden kehrte die Frau reich beschenkt aufs Schiff zurück, ohne daß auch nur ihre Kleider naß geworden wären.

Herr Hansen auf Sylt. – Kuhn, Märk. Sagen Nr. 81. Grimm, Deutsche Sagen Nr. 49. 58. 65-69. Wolf, Deutsche Sagen Nr. 80.

4.

Auf Helgoland zeigte sich in früheren Zeiten den schwangern Frauen, sobald es ihnen abhold war, das Meerweibchen halb als Mensch und halb als Fisch. War es ihnen aber günstig, kam es als schöne Jungfrau und stand ihnen mit freundlicher Miene bei der Entbindung bei, die dann immer durch ihre Gegenwart und Hilfe leicht und glücklich geschah. Es gab in alter Zeit auf Helgoland gewisse überaus schöne Mädchen, die man für Töchter des Meerweibchens hielt und vor denen man darum immer eine große Scheu und Verehrung hegte.

Herr Heikens.

*

 


 << zurück weiter >>