Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Elisabeths Depressionen steigerten sich bis zu konkreten Selbstmordplänen und Selbstmordphantasien, wie sie sie auch im folgenden Gedicht in makabren Einzelheiten ausbreitete. Vor allem das Wasser übte Anziehungskraft auf sie aus, ganz in der Nachfolge König Ludwigs II. von Bayern.

Versuchung

O, zürnt mir nicht ob dem, was ich getan,
Ich könnt' den Zweifel nicht ertragen,
Den Leib vertraut' dem kühlen Grund ich an,
Der Geist fleucht auf, die Zukunft zu erfragen.

Und wandelt euer Fuss am stillen See,
O sucht mich nimmermehr hier in der Tiefe,
Nein, blicket auf in jene blaue Höh',
Ist's nicht, als ob mein Geist von dort mich riefe?

Ich sass und sah zu lange am Gestad,
Berückend klang der grünen Wasser Rauschen,
Zu lockend hat Versuchung sich genaht,
Und zwang der Nyxenworte mich zu lauschen.

Und jede Welle flüstert leis mir zu:
Vergönne doch in uns'rem grünen Grunde
Dem müden Körper endlich Rast und Ruh;
Der Seele Freiheit bringt dann diese Stunde.

Mir dünkt, dass selbst die Sonne schmeichelnd spricht:
Und steigst hinab du jetzo ohne Zagen,
Bedeckt dein grünes Grab mein goldnes Licht –
Dem Geiste aber wird ein hell'res tagen.

Die Stunde der Versuchung ist gewichen,
Ein feiger Hund bin ich nach Haus geschlichen.


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