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Am Schluß ihrer Englandreise machte Elisabeth noch einen offiziellen Besuch bei Königin Victoria, die sich in Osborne auf der Insel Wight aufhielt.
Titel angelehnt an die »Hofgeschichten, zum Beispiel: / Die skandalöse Chronika / Der Königin Titania« aus Heines »Lamentationen«, 11, 79.
Ich nahe wieder diesem Lande,
So lieblich liegt's, umspült vom Meer;
Dass ich mein Aug' zuerst drauf wandte,
Wohl hundert Jahre sind es her.
Ich flog vorbei auf leichtem Schiffe
Dem Winter fort, dem Süden zu,
Nur flüchtig grüsst' ich Albions Cliffe,
Die blaue Ferne bot nur Ruh;Elisabeth sah die Insel Wight zum erstenmal im Winter 1860, als sie mit einer Jacht der Königin Victoria von Antwerpen aus nach Madeira fuhr, um dort eine Krankheit auszuheilen.
Und wieder hundert Jahre späterIm Sommer 1874 verbrachte Elisabeth mit ihrer jüngsten Tochter Marie Valerie einen Sommer auf der Insel Wight und besuchte auch damals die britische Königin.
Verträumte ich dort eine Nacht,
Gestickt mit Sternen war der Äther,
Mild strahlte Lunas Silberpracht.
Die Träume jener Sommerstunden
Versenkt ich in die blaue See;
Die Kränze auch, die ich gewunden,
Nichts tauche wieder auf zur Höh'!
Wie anders ist mein Nahen heute,
Wie geht's mir gegen die Natur!
Fürwahr mir macht es wenig Freude;
Um Ob'ronsKaiser Franz Joseph. willen thu ich's nur.
Der Herrsch'rin dieses Inselreiches
Ihr soll heut' gelten mein Besuch,
Als hätten wir an Langweil gleiches
Nicht schon an unserm Hof genug.
Mit Möven segeln um die Wette
Im Sturmgebraus, ist Hochgenuss;
Doch hier die steife Etiquette,
Die macht Titania nur Verdruss.
*
Doch siehe, wir fahren
Dem Strand zu, es harren
Der Königin Wägen;
Ach! wie ungelegen
Ist diese Visite;
Verdammt sei die Sitte,
Die solches ersann!
Nun halten wir an.
Am Fusse der Treppe,
Mit Haube und Schleppe,
Die Kleine, die Dicke,
Mit Hoheit im Blicke,
Bewusst ihrer Würde;
Denn fünfzig Jahr führte
Sie's Zepter im Lande;
Sogleich ich erkannte,
Die Königin sei's.
*
Sie hebt sich gnädig auf die Zehen
Und reicht mir voll Herablassung
Den Schwesterkuss; mich hier zu sehen,
Ist sichtlich ihr Genugthuung.
Sie liebt es, wenn von allen Enden
Der Welt man wallfahrtet zu ihr,
Devot ihr Huldigung zu spenden,
Als war ein ind'scher Götz' sie schier.
*
Die Phrasen sind's, die altbekannten,
Man findet sie in allen Landen:
»Wie geht's dem teuern Herrn Gemahl?«
»O bestens lässt er sich empfehlen,
(Wollt' er mich doch mit ihr nicht quälen!)
So schrieb er aus dem Alpenthal.«
*
Dann stellt sie mir die Suiten vor
Fürwahr, ich sah nie solchen Chor;
War ich gekommen bei der Nacht,
Sie hätt' dies nicht zustand gebracht;
Die Dames d'honneur, die Grande-Maîtresse,
Die wären alle per Express
Zum Blocksberg abgeritten,
Nach alter Hexen Sitten.
*
Nun sitzen wir im Drawing-room
Auf einem gelben Kanapee;
Vergebens blicke ich herum
Sehnsüchtig nach der lieben See,
Vergebens sucht und schweift mein Blick
Durch alle Fenster hin und her,
Enttäuscht nur kehrt er stets zurück
Auf ein frisiertes Hofparterre.
Exotisch nur ist aufgeputzt
Der Park mit teuerm Baum und Strauch.
Und die sind selbst franzö'sch gestutzt,
Wie's in Versailles einst war der Brauch.
*
Das jüngste KönigstöchterleinPrinzessin Beatrix, geb. 1857, seit 1885 verheiratet mit Prinz Heinrich Battenberg, der seit der Heirat den Titel »Königliche Hoheit« führte. Beatrix war Governor and Captain der Insel Wight.
Darf ich hier nicht vergessen;
Die dritte sass sie in dem Kreis,
Gar ernsthaft und gemessen.
Man sieht es ihr selbst jetzt noch an,
Dass sie einst jung gewesen,
Wie lang dies her, ist im Gesicht
Ihr wohl nicht mehr zu lesen;
Als sie ein kleines Mädchen war,
Gab die Mama ihr DockenPuppen.
Mit Wachsgesichtern, zart und fein,
Und hübschen blonden Locken.
Als sie nun in die Jahre kam,
Ward ihr der Spass zu trocken.
Behäbig macht sie und zu fett
Dies stets zuhause hocken.
Drum kauft Mama schnell einen Mann
Und einen hübschen, jungen,
Macht gleich ein Prinzchen draus, und nun
Ist die Mariage gelungen.
*
Die Thür geht auf; wer tritt herein
Mit dickem Bauch und lautem Schrei'n,
Das Antlitz fleischig, rot und voll?
Ja wahrlich, Köchin jeder Zoll!
Die Köchin? Wie kam' die herein!
Es ist ein Schwiegertöchterlein.
Die Königin hat deren viel;
(Bei dieser wird mir immer schwül)
Doch steht grad sie hoch in der Schar:
Denn ihr Papa war einstens Zar.Herzogin Maria von Sachsen-Coburg-Gotha, geb. 1853, verheiratet mit dem zweiten Sohn der Königin Victoria, Alfred, war eine geborene Großfürstin von Rußland und Tochter des Zaren Alexander II.
*
Die andre, die noch folgt, ist eine Qualle,
Ihr Prinz und Mann sieht sehr gelangweilt aus;Vermutlich Prinzessin Luise Margarete, geb. 1860, Gattin des Victoria-Sohnes Arthur und Tochter des Prinzen Friedrich Carl von Preußen.
Zwei Enkelinnen noch, und wir sind alle
Und schreiten würdevoll zum Lunch hinaus.
Die Langweil ist uns schon vorangeschritten,
Und majestätisch thront sie auf dem Tisch;
Die Braten werden stumm tranchiert, geschnitten,
Und lautlos präsentiert man Krebs und Fisch.
Vier Inder, theatralische Gestalten,
Bedienen Indiens stolze Herrscherin,
Sie steh'n drappiert in ihrer Schleier Falten,
Im goldnen Gürtel stecken Dolche drin.
Die dunkeln Augen funkeln, braun die Häute,
Die Füsse sind ganz blos und unbedeckt.
Die Königin erklärt, dass diese Leute
Barfuss ihr nahen müssen aus Respekt.
*
»Kröchen sie doch gleich auf Vieren,
Meint ich; doch die Zeit rückt an
Wo ich, nach dem Ennuyieren,
Mich mit Anstand drücken kann.
»Länger noch Sie molestieren,
Wäre wahrlich indiskret.
Nach dem vielen JubilierenAm 20. Juni 1887 war das fünfzigjährige Regierungsjubiläum der Königin Victoria.
Ist wohl müd' die Majestät;
Darum will ich mich empfehlen
Hohe Sonnenherrscherin;
Mög' der Himmel fünfzig zählen
Noch ihr auf den Buckel hin!«
*
Titania kehrt zurück zu ihrem Schiffe,
Das träumerisch sich wiegt in blauer Bucht,
Der Anker hebt sich rasselnd aus der Tiefe,
Die weissen Segel bläht der Wind zur Flucht,
Dem Stockfisch unten deucht's, dass jemand riefe:
»Heut' hab' ich deine Königin besucht!«
Auf hoher See wird bald das Fahrzeug treiben,
Und dort Titania ihre Chronik schreiben.