Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Ithaka.

26. October.

I.

Längs der Küste von Albanien
Fliegt der Vogel Greif dahin,
Glühender Sirocco wütet
Wellenschäumend gegen ihn.

Grau der Himmel, grau die Wogen,
Grau die scharfe Bergcontour;
Kahle Felsen, meerabfallend,
Einen sich den Wassern nur.

Dämmernd nahet schon der Abend;
Müde ist der Vogel Greif
Durch den Kampf der Elemente;
Salz- und schaumbedeckt sein Schweif.

Langsam rollt er auf und nieder
Jeder Welle wie zum Spiel,
Gegen Santa MauraInselfestung vor Leukás, zugleich venezian. Name für die ganze Insel. steuernd;
Santa Maura ist sein Ziel.

II.

Ithaka, 27. October.

Der Regen fällt in Strömen,
Es wütet der Orcan,
Als könnte nichts sie zähmen,
So tobt die See heran.

Die Nacht ist tief und düster
Und aus den Wassern klagt
Ein Stöhnen und Geflüster,
Das unheilvoll weissagt.

Die Schaumeswogen zischen
Am Vogel Greif hinan,
Der, fluggespreizt, kaum zwischen
Den wilden schweben kann.

Von Santa Maura's Küste
Da fällt der Leuchten Schein
In diese Meereswüste
Aus dunkler Ferne ein.

»Wir dürfen hier nicht bleiben«,
Zur Möve spricht der Greif;
»Die bösen Fluten treiben
Um uns den Zauberreif.

Ich kann dich hier nicht hüten
Vor Unheil und Gefahr;
Verhängnisvoll zu brüten
Scheint rings die dunkle Schar.«

Und wie im fernen Osten
Sich zeigt ein fahler Streif,
Verlässt den grausen Posten
Der sturmzerzauste Greif.

Längs hohen Inselketten
Und schützendem Gestad,
Will er die Möve retten
So er am Rücken hat.

Sie ziehen nun gen Süden
An Wald und Fels vorbei;
Hier sind Orangenblüten,
dort graues Einerlei;

Und fern im Hintergrunde
Spannt weit sich übers Meer
Der farbenreiche, bunte,
Der Friedensbogen her.

Bald blaut der Himmel helle
Und tiefer blaut die See;
Die sanftgekrauste Welle
Vergass des Sturmes Weh.

Und unbehindert ziehen
Die Möve und der Greif
In anmutvollem Fliehen
Auf saphirnem Geläuf.

Jetzt formen nah' und enger
Die Inseln sich heran;
Es dehnt sich schmal und länger
Des Meeres blaue Bahn,

Um plötzlich sich zu weiten;
Gleich einem Alpensee,
Sieht man die Bucht sich breiten
Hier unter Bergeshöh'.

Stolz hebt sich der NeritonNeritos – mit etwa 800 m höchster Berg Ithakas.
Als Wächter dieser Bucht,
Auf dessen kahlem Gipfel
Der Adler Zuflucht sucht.

Und rechts und links Ruinen
Auf niedern Felsen steh'n,
Die mit verfallnen Zinnen
Herab zum Hafen seh'n.

Im Hintergrunde steiget
Terrassenförmig auf
Olivengrün umzweiget,
VathyHauptstadt der Insel Ithaka. den Hang hinauf.

Die weissen Häuser winken,
Gar freundlich aus dem Grün
Die Fensterscheiben blinken,
Wie Phöbus sie beschien.

Die kleine Bucht umfassen
Oliven kranzesgleich,
Aus grauen Steinterrassen
Entstehn sie wollig weich.

Dazwischen schau'n Cypressen,
Tiefgrün, hinab zur See,
So stolz und ernstgemessen
Von ihrer Felsenhöh'.

Im blauen Äther fliehen
Viel Rosenwölkchen hin,
Die bald wie Purpur glühen,
Bald goldig sich umzieh'n.

Ein Meer von Rosenblättern
Scheint auf die Bucht gestreut,
Als ob die Götter hätten
Heut' Rosenzoll gebeut.

Doch sieh' die roten Rosen
Verwandeln sich in Gold,
Und goldig übergossen
Ist, was da tanzt und rollt.

Doch auch das Gold wird bleicher;
Denn langsam naht die Nacht;
Da schimmert's reich und reicher
Und fliesst in Silberpracht.

Luna hat sich erhoben
Am dunkeln Himmelszelt
Und silbern rings umwoben
Die kleine Zauberwelt.

»Sag an, o mein Gefährte,
Sind wir im Paradeis,
Entflogen schon der Erde?"
Fragt jetzt die Möve leis.

Der flüstert von der Welle:
»Wir sind in Ithaka;
– Geheiligt ist die Stelle –
Odysseus' Seele nah'.«


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