Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Die folgenden Verse sind eindeutig Schlüsselverse, aber kaum völlig zu verstehen. Elisabeth: »Des innern Wirrwarrs Schlüssel
trage Ich aber tief im Hirn versteckt.«

Titanias Arche.

Mein Buch ist eine grosse Arche,
Gleich Vater Noahs weitem Schiff;
Und wie der weise Patriarche
Baut' ich sie auch solid und tief.

Sie ist gefüllt mit vielen Tieren,
Grotesk und wunderlich zugleich;
Das tummelt sich auf allen Vieren,
Das hüpft vergnügt von Zweig zu Zweig.

Dazwischen sieht man, stolz ergehend
Sich, manches Vieh, aufrecht und grad,
Verächtlich auf die andern sehend,
Weil es zwei Bein' statt viere hat.

Die Arche hab' ich unverdrossen
Jahrhundert lang geziert, geschmückt;
Ihr Innres füllen bunte Rosen,
In manchem fremden Land gepflückt.

Betäubend steigen schwere Düfte
Aus der Boskette tiefem Grün,
Es mahnt der Hauch an Königsgrüfte
Die Totenblume ist's: Jasmin.Anspielung auf Ludwig II. von Bayern.

Anmutig winden Laubengänge
Tief in den Schiffsbauch sich hinein;
Gleich Locken schüttelt sein Gehänge
Darüber hin der wilde Wein.

Darunter blüht die lila bleiche
Vanille gar berauschend süss.
Einst klagte an der Liebe Leiche
Sie ums verlorne Paradies.Anspielung auf Kaiser Franz Joseph (Vanille weist meistens auf Ischl hin).

Selbst hohe Buchen, ernste Tannen
Birgt meiner Arche grosser Raum,
Und riesenmässige Platanen,
Die nicken schläfrig wie im Traum.

Der Ehrenplatz gehört der Linde,Heinrich Heine (s.S. 291).
Sie rauscht und blüht dort ganz allein,
Und wenn ich ihren Stamm umwinde,
So müssens immer Rosen sein.

In ihrer reichen Blätterkrone
Da thront die holde Nachtigall,
Die singt mit schmelzend süssem Tone
Von wilder Lust, von süsser Qual.

In jener ungeheuren Ecke
Türmt sich empor ein Felsenkar,»Felsenkar«: Österreich-Ungarn; »kleine Schnecke«: Kaiser Franz Joseph (s.S. 68); »des Ostens Aar«: Rußland; »schlanke Palme«: Kaiserin Elisabeth.
Es kriecht daran die kleine Schnecke,
Darüber haust des Ostens Aar;

Daneben wehen grüne Halme
Und Erika und Farrenkraut;
Auf die herab die schlanke Palme
Befremdet und wie fragend schaut.

Dort glänzt, gleich Silber, in dem Schiffe
Ein schilfbekränzter Wasserteich;
Es ist die grünkrystall'ne Tiefe,
An wundersamen Fischen reich.

Doch oben rudern weisse Schwäne,
Vom Hauch der Poesie umweht;
Sie achten nicht den Spott der Hähne,
Der von dem Düngerhaufen kräht.

Durch sanfte Veilchen zischen Schlangen,
Des Edens fürchterlicher Fluch,
Das Haupt voll giftigem Verlangen
Taucht in der Kelche Wohlgeruch.

Die urweltweisen Salamander,
Die Eidechsen, an Wissen grau,
Die ziehen stumm nur aneinander
Vorbei im dunkeln Felsenbau.

Die Schmetterlinge, bunte Falter,
Die taumeln wie berauscht herum,
Sie ahnen nichts von Tod und Alter
Sie sind verliebt und folglich dumm.

Zuweilen ziehen Nebelseelen
Und weisse Möven leicht vorbei,
Gedanken nur, die sich vermählen,
Und dabei doch so göttlich frei.

Der Seele glühendstes Verlangen,
Die Schönheit selbst, olympisch hehr,
Man sieht sie hoch im Centrum prangen,
Die Attribute: Schild und Speer.Achill.

Doch der Spektakel in dem Schiffe,
Dies Singen, Flöten fort und fort,
Die ohrzerreissend gellen Pfiffe,
Und weh! erst der Zweibein'gen Wort;

Denn alles will zugleich hier sprechen,
Und jedes spricht, ob Mensch, ob Tier;
Die Fische selbst thun sich erfrechen
Und rufen: »wozu schweigen wir?«

Die Rosen singen Liebeslieder,
Sie sind berauscht vom eignen Duft.
Der Adler schüttelt sein Gefieder
Und pfeift ein Schandlied, dieser Schuft.

Die Fledermäuse, schwarze Schatten,
Die huschen gräulich hin und her,
Was die sich leis zu sagen hatten,
Versteht man in dem Lärm nicht mehr.

Der Kuckuck in den grossen Buchen
Ruft aus ein sehr obscenes Lied,
doch wird man ihn vergebens suchen;
Er liebt es nicht, dass man ihn sieht.

Die süsse Nachtigall dagegen,
Die ist stets ursentimental;
Man kommt ihr nicht genug entgegen,
Und das verursacht ihre Qual.

Die Salamander sind verschwiegen,
Sie geben dem nur guten Rat,
Der, treu wie sie, und ohne Lügen
Ihn ehrlich offen sich erbat.

Die Tannen rauschen ernste Weisen,
Wie Kirchenlieder auf Latein;
Die Affen, die einander lausen,
Thun fromm, das gibt der Stellung Schein.

Arabisch sprechen nur die Palmen,
Die Bäume rings versteh'n dies nicht,
Die Buche meint, es seien Psalmen;
Die Linde hälts für ein Gedicht.

Der KarpfeKarpfe wohl Franz Joseph (s. S. 210). Esel und Elefant nicht eindeutig zu identifizieren. mit den runden Augen,
Voll Tiefe zwar, nur etwas blöd,
Der klagt! »Ich liebte einst ein Frauchen,
Doch sie verliess mich treulos, schnöd.«

Der Esel aber prahlt vermessen
Von der Fortune, die er gehabt,
Und lässt versteh'n, dass er besessen
Einst eine, schön und hochbegabt.

Ein Elefant mit langem Rüssel
Erhebt gleichfalls das weise Haupt;
Er liebt die Flasche, liebt die Schüssel
Und, dass an seine Kunst man glaubt.

Dies Trampeltier mit Facko-Locken
Hat ganz enorm viel Ambition;
Es schreitet nur mit lauten Glocken
Und zu der grossen Trommel Ton.Elisabeths Schwiegertochter, Kronprinzessin Stephanie, genoß zeremoniöses Auftreten und höfische Repräsentation – zum Hohn der Kaiserin.

Die Schwalben sind die freien Geister,
Sie zwitschern »Freiheit" hell und laut;
Sie können dies auch desto dreister,
Da ihre Nester hochgebaut.Wahrscheinlich die jüngeren Mitglieder des Erzhauses.

Die Arche halt' ich fest verschlossen,
Wie ich's bei manchem Haus geseh'n,
Wo an den Fenstern Eisensprossen,
Und Mauern ums Gebäude geh'n.

Des innern Wirrwarrs Schlüssel trage
Ich aber tief im Hirn versteckt;
Und nun ist dies die grosse Frage:
Nach meinem Tod wird er entdeckt?

Einstweilen fährt die Arche weiter
Auf der Gedanken freiem Meer,
Gemächlich, wenn der Himmel heiter,
Und schwankend, wenn er sturmesschwer.

Wie Vater Noah es gepflogen,
Sandt' eine Taube jüngst ich aus,
Doch rasch kam sie zurückgeflogen,
Man schickt sie mit Protest nachhaus.


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